Werbung

Sanft versinkt das Land

Die filmische Installation »Choreographische Bilder im Feld« im Radialsystem

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Brandenburg ist ein Land der Ruhe. Daran erinnert der poetische Landschaftstanzfilm »Choreographische Bilder im Feld«, der derzeit in einer Installationsversion auf vier Leinwänden im Radialsystem zu sehen ist. Alle Berliner Geschwätzigkeit fällt wie vertrockneter Lehm von den Leibern, wenn man sich den von der Choreographin Paula E. Paul behutsam in Szene gesetzten Mitgliedern diverser Freizeitvereine auf dem Lande aussetzt, deren Dialog mit der Umgebung der Filmemacher Sirko Knüpfer ebenso behutsam einfing.

Weite Wasserflächen sind zu sehen. Darin bis zum Knöchel eingetaucht stehen die in historische Preußengewänder gekleideten Mitglieder des Paretzer Liebhabertheaters. Sanft versinkt das Land, scheint diese Sequenz zu sagen. Später führen die Laiendarsteller sogar noch ein Menuett in diesem Spiegelsaal der Natur auf. Ein sanfter Gruß aus dem Gestern wird auch von einer Cottbusser Schülergruppe geleistet, die auf Exkursion im Tagebau Welzow ist. Scheu winken die Schüler mit den Helmen und drehen sich wie melancholische Karrussellfiguren um die eigene Achse.

Szenischer Höhepunkt ist freilich die Begegnung des Freizeitchors Ketziner Havelklänge mit den Bikern des Preußen Chapter Potsdam. In ein Bushäuschen gepfercht, hinter dem sich das sprichwörtliche weite Feld erstreckt, geben sie ihr Repertoire zum Besten, während vor ihnen die Harley Davidsons vorbeiziehen. Der bei aller Leidenschaft doch schüttere Gesang kontrastiert auf den ersten Blick gewaltig mit dem martialischen Aussehen der Motorradkrieger. Doch wer genauer hinschaut, erkennt im grauen Bart so manchen Bikers ein Pedant zur Haartönung so manches Chormitglieds. Diese Falte, jene Rundung scheint zwischen beiden Gruppen austauschbar.

Und was in einem Mittelwesten-Thriller der Gebrüder Coen zum gewalttätigen Aufeinanderprall der Lebensformen ausgemalt worden wäre, gerät dem Duo Knüpfer und Paul zu einem die diversen Subkulturen verbindenden Pas de Deux. Es stellt sich die Vermutung ein, dass in den Bikerklamotten auch manches Chormitglied stecken könnte - und mancher sangeslustige und sangesfähige Biker sich auch den Regeln eines Chores anvertrauen würde. Kein Wunder also, dass die Zweiradhelden am Ende die Chormitglieder auf dem Sozius mitnehmen.

Die filmische Installation - ein Loop von 30 Minuten Länge - lebt aber auch von subtilen Gesten. Das Armeverschränken und Kopfkratzen der einen wird von anderen als choreographisches Element aufgenommen. Eine Mädchengruppe auf der Bank korrespondiert über die Leinwände hinweg mit einer Gruppe Jungs, die unter einem Hänger liegen. Herrlich auch die Taucher des Tauchsportclubs Filmstadt Babelsberg, die mit Flossen und Brille die Wasserlinie durchbrechen, die die Füße der preußisch kostümierten Tänzer vor den Augen verbirgt.

Und immer wieder Bilder vom Brandenburger Land: das Licht der Abendsonne, das sich über Hügel legt. Windräder, die den Luftstrom sichtbar machen. Gras, das hüfthoch über die Freilichtbühne Ketzin wächst, auf der ein paar einheimische Jugendliche einen so verwunschenen wie verlorenen Eindruck hinterlassen.

»Choreographische Bilder im Feld« hat alle Eigenschaften eines Werbefilms für Brandenburg. Er lässt den Blick sanft übers Land wandern. Er zeigt Menschen, die sich trotz der gegensätzlich anmutenden Freizeitinteressen eine knorrige Verwurzelung bewahrt haben, die sie potenziell dialogfähig macht - selbst wenn sie nicht gerade viel sprechen. Es sind aber auch Schmerz und Wunden eingebaut, etwa wenn die Kamera die Furchen abtastet, die der Tagebau ins Land gegraben hat. Auch die Windräder mag man als ästhetische Verletzung und als Vernutzung von Natur lesen.

Filmemacher Sirko Knüpfer hatte sogar noch mehr vor. »Mir geht es auch darum zu zeigen, wie sehr der Mensch die Natur domestiziert hat. Wir könnten uns heute nachts in eine Bushaltestelle legen und dort schlafen und keinem Wolf würde es einfallen, uns zu töten«, macht er auf das Ergebnis einer jahrhundertelangen Kultivierung aufmerksam. Diese Komponente mag man erst erkennen, wenn man darauf hingewiesen wird. Dennoch: »Choreographische Bilder im Feld« gelingt es, hinter das Staunen über die Weite des Landes und das meist sogleich folgende Erschrecken über die Starre und Schwermut zu dringen. Der Film löst diese Standardbilder auf und macht Kräfte und Strukturen vom Werden und Gewordensein sichtbar.

13.4. 12-19 Uhr, 14.4. 12-22 Uhr, Radialsystem, Holzmarktstr. 33,
Eintritt frei

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal