Neues ökonomisches Denken

  • Christa Luft
  • Lesedauer: 3 Min.
»Die Finanzkrise hat die Defizite der neoklassischen Wirtschaftslehre offengelegt.«
»Die Finanzkrise hat die Defizite der neoklassischen Wirtschaftslehre offengelegt.«

Die Finanzkrise hat auch die Defizite der herrschenden neoklassischen Wirtschaftslehre offengelegt. Diese sieht Marktmächte als Naturgegebenheit und den Menschen als eigennützigen Homo oeconomicus. Damit erstarrt sie in Realitätsferne und gibt für Wirtschaftspolitik und -praxis Fehlorientierungen. Eine Neuausrichtung ist überfällig. Primär geht es darum, die Ökonomie aus ihrer Allmachtstellung wieder als Teilsystem in die Gesellschaft einzubetten, dem »ökonomischen Imperialismus« ein Ende zu setzen, wie es Thomas Straubhaar formuliert. Mit solcher Forderung ist der Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts in Ökonomenzunft in Deutschland allerdings ziemlich allein. Sie entspricht eher dem Ton des kürzlich veröffentlichten Aufrufs von 98 besorgten, nicht dem Mainstream folgenden Wissenschaftlern zu einer Erneuerung der Lehre, die »sich dogmatisch verkapselt hat«.

Wirtschaftsdaten müssen als soziale Verhältnisse und nicht nur als für die Modellverarbeitung geeignete quantitative Zusammenhänge analysiert werden. Eine wissenschaftliche Schule, die praktischen Wert haben will, darf nicht in Ökonomismus verharren, sie muss von der Frage nach dem Sinn des Wirtschaftens ausgehen. Verfassungsrechtlich gibt es dazu auf Bundes- und Landesebene am Gemeinwohl orientierte Gebote. Doch Wirtschaftstheorie und -alltag sind davon weit entfernt. Generationen von Studierenden, die späteren Akteure in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien, sind an bundesdeutschen Hochschulen von der Lehrmeinung Milton Friedmans geprägt worden. Für ihn haben Führungskräfte der Großbetriebe keine andere soziale Verantwortung zu übernehmen, als »für ihre Aktionäre soviel Geld wie möglich zu verdienen«.

Das Befolgen von Verfassungsgeboten kann nicht dem Gusto des einzelnen Unternehmers oder Managers überlassen bleiben. Freiwillig werden diese sich - von Ausnahmen abgesehen - auf soziale und ökologische Belange nur einlassen, wenn sie darin langfristig eine Chance zur Gewinnsteigerung sehen. Häufig aber ist, was einzelwirtschaftlich als rational erscheint, gesamtwirtschaftlich kontraproduktiv, sozial zerstörerisch und umweltbelastend.

Natürlich darf betriebliches Gewinninteresse nicht delegitimiert werden. Wohin das führt, haben wir im Realsozialismus schmerzlich erlebt. Aber der Gesellschaft sollen nicht Trends aufgezwungen werden, die von einer privaten Profitmaximierungsstrategie vorgegeben sind. Unmoralisch ist nicht unternehmerisches Gewinnstreben an sich, sondern verweigerte Teilhabe derer am Gewinn, die ihn erarbeitet haben, eine Risiken auf andere abwälzende Renditejagd und die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.

Die Wirtschaftswissenschaften müssen einzelwirtschaftliche Rationalität und gesamtwirtschaftliche Vernunft weitestmöglich in Einklang bringen. Wirtschaftsethik gehört ins Ökonomiestudium, Personalmanagement muss auch auf soziale Kompetenz Wert legen. Gebraucht wird eine Politische Ökonomie, die verschiedene Schulen, die marxistische eingeschlossen, zu Rate zieht und zu kulturvollem Meinungsstreit einlädt. Das setzt allerdings eine Berufung und Wertschätzung von Lehrenden nach anderen als den gegenwärtigen Zeitgeist-Kriterien voraus.

In der wöchentlichen nd-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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