Syrien-Krise zerreißt die Region

Nachbarstaaten tief in Konflikt involviert / Herber Rückschlag für zivile Kooperation

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
Der politische, wirtschaftliche und militärische Druck auf Syrien sendet Schockwellen in die Nachbarländer. Die Bewältigung gemeinsamer Probleme der Region wie Wassermangel, politische und wirtschaftliche Reformen sowie ein Friedensprozess mit Israel sind vorerst gestoppt.

In Jordanien, Libanon, der Türkei und in den kurdischen Autonomiegebieten Iraks sammeln sich syrische Flüchtlinge. Obwohl die Grenzübergänge zu diesen Ländern weiterhin geöffnet sind, ziehen sie den Weg über die »grüne Grenze« und eine meist damit verbundene Bezahlung vor. Internationale Organisationen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk sagen für die Zukunft gewaltige Flüchtlingsströme aus Syrien voraus und fordern Millionen Dollar Hilfe.

Nach bisher bekannten Zahlen haben die Türkei 24 000, Libanon 10 000 und Jordanien mehr als 2000 Flüchtlinge aufgenommen. Im kurdischen Nordirak leben einige hundert.

Im jordanisch-syrischen Grenz-gebiet leben syrische Familien, die 1982 nach der Niederschlagung des Aufstands der syrischen Muslimbruderschaft kamen und heute logistische und humanitäre Unterstützung für den bewaffneten Aufstand in Syrien leisten. Um drei überfüllte Wohnblocks, die sich in einem militärischen Sperrgebiet in Ramtha an der Grenze zu Syrien befinden, zu entlasten, werden Medienberichten zufolge neue Containerlager errichtet, in denen 1000 Flüchtlinge unterkommen können. Neben arabischen Rote-Halbmond-Gesellschaften aus Kuwait, Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind Hilfsorganisationen wie die Gesellschaft des Islamischen Wohlfahrtszentrums und »Al-Kitab wa al-Sunna« aktiv. Letztere steht der jordanischen Muslimbruderschaft nahe, die wiederum den bewaffneten Aufstand in Syrien unterstützt. »Die Muslimbruderschaft spielt bei der Hilfe eine große Rolle, aber verdeckt«, zitiert das UN-Informationsnetzwerk IRIN einen syrischen Oppositionellen in Jordanien.

Der jordanische König Abdullah II. steht innenpolitisch nicht nur unter Druck der Muslimbruderschaft, die mit der Islamischen Aktionsfront über eine starke und bestens organisierte Oppositionspartei verfügt. Konflikte hat der König auch mit einflussreichen Beduinenstämmen im Süden des Landes, die häufig gegen die Herrschaft des Monarchen aufbegehren. Obwohl Jordanien offiziell die von der Arabischen Liga beschlossenen Sanktionen gegen Syrien unterstützt, hat die Regierung erklärt, sie aus wirtschaftlichem Eigeninteresse nicht umzusetzen. Jordanien ist Transitland für syrische Waren auf die arabische Halbinsel und für türkische Waren, die an den Persischen Golf, nach Ägypten und Israel geliefert werden. Syrien versorgt den südlichen Nachbarn zudem mit Wasser.

In Libanon sorgt der Konflikt in Syrien für eine neue Polarisierung. Während die Regierung sich offiziell nicht an Strafmaßnahmen gegen Damaskus beteiligt und die libanesische Armee illegale Grenzübertritte nach Syrien zu verhindern versucht, findet der Aufstand bei vielen Libanesen begeisterte Zustimmung, besonders unter Salafisten und Anhängern der Muslimbruderschaft. Geschäftsleute um Expremier Saad Hariri sorgen für die Unterbringung von Angehörigen der Kämpfer und finanzieren Waffenschmuggel. Die berüchtigte US-Sicherheitsfirma Blackwater heuert Journalistenberichten zufolge arbeitslose Libanesen an, die nach einer kurzen Ausbildung nach Syrien in den Kampf ziehen. Es ist nur etwas mehr als ein Jahr her, da stand eine gemeinsame Handelsunion von Jordanien, Libanon, der Türkei und Syrien kurz vor der Unterzeichnung.

Irak, das nach Übernahme des Vorsitzes der Arabischen Liga nicht auf Konfrontation mit Syrien, sondern auf Vermittlung setzt, traf unmittelbar darauf die volle Wucht saudischen Zorns. Bagdads Ministerpräsident Nuri al-Maliki hatte etwaige Waffenlieferungen Katars und Saudi-Arabiens kritisiert. Den Aufstand in Syrien mit Geld und Waffen zu unterstützen, würde »zu einer noch größeren Krise in der Region« führen.

Konservative arabische Medien forderten daraufhin den Boykott der irakischen Regierung. Jeder, der »an der Seite des Tyrannen von Damaskus« stehe, müsse »bestraft werden, allen voran die Regierung Maliki«, hieß es in der in London erscheinenden Zeitung »Al-Sharq al-Awsat«. Es müsse verhindert werden, dass »ein neuer Saddam oder ein anderer Baschar« geboren werde, hieß es unter Bezugnahme auf Saddam Hussein und Baschar al-Assad. Der innerirakische Konflikt zwischen Maliki und seinem politischen Widersacher, Vizepräsident Tariq al-Haschimi, wird von den Golfstaaten offenbar benutzt, um den latenten Konflikt zwischen verschiedenen islamischen Sekten in der Region weiter zu schüren.

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