Endlich!

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Endlich!

Lang hat es gedauert, aber nun hat die Bundesregierung zerknirscht Selbstkritik geübt. Tenor des Papiers, das »Spiegel online« am Sonntagabend verbreitete: Wenn die Deutschen noch einmal ein fremdes Gebiete besetzen werden, dann wollen sie die Sache schlauer angehen. Noch einmal würden sie nicht alles in den Dreck stampfen, was den Einheimischen lieb und bewahrenswert ist - Volksfeste, Beischlafgewohnheiten, Glaubensrituale; noch einmal würden sie nicht die Eliten des eroberten Landes in die Arbeitslosigkeit, in die Emigration oder in den Selbstmord jagen. Wahrscheinlich dürfte die unterjochte Bevölkerung sogar scheinbar absolut alberne Dinge wie den DFD, den Subbotnik, den Kessel Buntes oder den Palast der Republik behalten. Und - Gipfel der Reue - man würde den Staat, den man auszulöschen bzw. zu delegitimieren gedenkt, nicht noch einmal, sozusagen blind vor Siegesfreude, »die Ehemalige« nennen.

Von der »ehemaligen DDR« ist in dem Papier zwar nicht ausdrücklich die Rede - im Gegenteil: Es klingt so, als sei es allein im Hinblick auf zukünftige Okkupationen fremden Territoriums ausgearbeitet worden. Von »fragilen Staaten« ist die Rede, die man nicht finsteren Despoten überlassen möchte. Aber war die DDR etwa nicht »fragil« und Heinz Quermann kein Despot?

Dass man sich nicht auf die DDR bezieht, ist der Kompromiss, den die fleißigen und stillen Streiter für die Erhaltung der ostdeutschen Identität - Eppelmann, Thierse, Stolpe und Schabowski - nun einmal eingehen mussten. Sonst wäre das Papier - im politischen Berlin inzwischen »Liebesbrief in die Zone« genannt - nie erschienen. Denn natürlich fürchten jetzt gewisse Leute, die sich bei der Abwicklung der DDR besonders nach vorne gedrängt haben, dass sie jetzt vor Gericht gezerrt werden. Einige, wie der berühmte Rundfunk-Kommissar Mühlfenzl, sind zwar verstorben, aber Birgit Breuel, Staatsanwalt Schaefgen, die Ex-Ministerpräsidenten Münch, Vogel und Biedenkopf leben noch. Auch ihre ostdeutschen Kollaborateure, allen voran ein gewisser Gauck! Das ginge natürlich gar nicht - erst den Mann zum Bundespräsidenten adeln und ihn dann wegen unsinniger Grausamkeiten beim Vollzug der deutschen Einheit in den Kerker werfen.

Aber Wolfgang Thierse gelang es, einen Passus im »Liebesbrief« unterzubringen, den erfahrene Staatsrechtler und die Abteilung für Desinformation der Rosa-Luxemburg-Stiftung als die eigentliche Überraschung in dem Papier, ja als »Paukenschlag« bezeichnen. Die Bundesregierung schlägt nämlich vor, sich bei zukünftigen Eroberungen auch mit prominenten Leuten zu verbünden, die man eigentlich am liebsten in Moabit vor ein Schnellgericht stellen würde.

Hätte es diese Überlegungen schon vor 20 Jahren gegeben, dann hätte Erich Mielke zumindest dem Ältestenrat des ersten Bundestages nach der Wiedervereinigung angehören müssen, Erich Honecker wäre mit einem Großen Zapfenstreich (»Brüder, zur Sonne, zur Freiheit«, »Bau auf, Bau auf« und »Ich geh vom Nordpol zum Südpol zu Fuß«) verabschiedet worden und hätte Egon Krenz als Büroleiter mit auf den Ruhesitz am Wandlitzsee nehmen dürfen.

Abschließend stellt die Regierung fest, dass es bei der Versklavung fremde Völker künftig nicht mehr darum gehen könne, »westliche Demokratievorstellungen zu exportieren«. Das kann sich allerdings wirklich nicht auf Ostdeutschland beziehen: Die Demokratie der Wessis übt die Bevölkerung hier nur aus, damit man sie in Ruhe lässt.

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