Sicherungsverwahrte erstreiten Entschädigung

Ein Gericht billigt vier Straftätern Schmerzensgeld zu für die Jahre, die sie zu Unrecht eingesperrt waren

Sie saßen zu Unrecht mehr als zehn Jahre in Sicherungsverwahrung. Nun muss das Land Baden-Württemberg vier Ex-Verwahrte entschädigen. Das Urteil könnte beispielhaft sein für Dutzende anderer Fälle.

»Wegsperren für immer« hat seinen Preis: Das Landgericht Karlsruhe sprach vier Straftätern Schmerzensgeld zu, deren Sicherungsverwahrung rechtswidrig im Nachhinein verlängert worden war. 500 Euro muss ihnen das Land Baden-Württemberg für jeden Monat zahlen, den sie zu Unrecht im Gefängnis saßen. Das Landgericht folgte damit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg von 2009, das in vergleichbaren Fällen diese Summe für angemessen hielt.

Die vier Männer, die heute zwischen 55 und 65 Jahre alt sind, waren wegen Sexual- und Gewaltstraftaten zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden. Nach dem Verbüßen der Haft sollten sie in Sicherungsverwahrung kommen, die zum damaligen Zeitpunkt jedoch auf maximal zehn Jahre begrenzt war. Diese Höchstgrenze wurde 1998 vom Bund aufgehoben. Statt entlassen zu werden, blieben die Männer nach den zehn Jahren weitere acht bis zwölf Jahre weggesperrt.

Dafür stehen ihnen nun zwischen 49 000 und 73 000 Euro zu. Denn auch Straftäter haben Rechte. Mit der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung verstieß die Bundesrepublik gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, wie der EGMR feststellte. Die Männer kamen daraufhin 2010 frei. Das Bundesverfassungsgericht folgte dem Straßburger Urteil inzwischen und hat eine komplette Neuregelung der Sicherungsverwahrung gefordert.

Das Karlsruher Urteil ist das bundesweit erste Verfahren dieser Art. Bis zu 100 weitere Fälle sind ähnlich gelagert. Weitere Schmerzensgeldklagen in anderen Bundesländern laufen bereits. Mit den 500 Euro pro Monat spricht das Gericht den Klägern weniger zu, als in Deutschland als Haftentschädigung vorgesehen ist. Üblich sind 25 Euro pro Tag, wenn festgestellt wird, dass Menschen zu Unrecht die Freiheit entzogen wurde.

Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Baden-Württemberg will das Urteil anfechten und bis zum Bundesgerichtshof (BGH) gehen. Strittig ist unter anderem, ob nicht der Bund einen Beitrag leisten muss. Die erste Instanz teilt diese Auffassung nicht. Baden-Württemberg muss zahlen, auch wenn, wie das Gericht betont, das Land keinen Fehler gemacht hat, weil es nur das damals geltende Bundesrecht anwendete. Unabhängig von der Schuld müsse aber derjenige entschädigen, der die rechtswidrige Maßnahme angeordnet hat. Bis zur endgültigen Klärung bekommen die vier Männer das Geld nicht ausgezahlt. Und die dürfte noch bis zu drei Jahren auf sich warten lassen.


Das Straßburger Urteil

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung 2009 für menschenrechtswidrig erklärt. Geklagt hatte ein damals 52-Jähriger, der 1986 wegen versuchten Raubmords zu fünf Jahren Haft und anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden war. Diese durfte damals maximal zehn Jahre dauern. 1998 hob der Bundestag die Begrenzung auf - auch für bereits verurteilte Täter. Der Mann kam deshalb 2001 nicht frei, sondern blieb hinter Gittern, weil er als gefährlich galt. Eine Strafe darf jedoch nicht nachträglich verlängert werden, verwies Straßburg auf einen rechtsstaatlichen Grundsatz und sprach dem Mann rund 500 Euro Entschädigung für jeden Monat zu, den er über 2001 hinaus im Gefängnis saß. dpa/nd

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