Über das Bewahren

Armin Stolper: »Beaujolais und Bücher«, gesammelte Texte

  • Friedrich Albrecht
  • Lesedauer: 4 Min.

Den Kopf in eine Hand gestützt blickt uns der 78-jährige Autor vom Bucheinband an, mit einem schwer zu deutenden Gesichtsausdruck: listig, verschmitzt, vielleicht auch mit einem Hauch von Melancholie? Gelegentlich gibt Armin Stolper in den hier versammelten Texten sehr Persönliches preis: Relikt einer vergangenen Zeit sei er, er hänge ungeheuer am Alten, an alten Schuhen ebenso wie an alten Stühlen, an alten Geschichten wie an alten Überzeugungen, an alten Pastoren wie an alten Kommunisten.

Zehn recht unterschiedliche und aus verschiedenen Jahren stammende Prosastücke enthält der Band - da fällt es schwer, sie auf einen Nenner zu bringen. Eines scheint sie jedoch zu verbinden: das Bestreben zu erinnern, all das vor dem Vergessen zu bewahren, was Armin Stolper einst etwas bedeutet hat. Das beginnt schon auf den ersten Seiten des Buches: Eine ganze Reihe von Namen - 22 genau - wird genannt, fast kommentarlos, aber nun präsent. Bereits hier trifft man auf Menschen, mit denen sich Stolper dann ausführlicher beschäftigt, auf Freunde wie Fred Wander und Horst Drescher beispielsweise, auf Alfred Matusche oder Herbert Stascheit. Letzterer ist in der breiteren Öffentlichkeit wohl nur wenig bekannt. Ihm widmet Stolper den umfangreichsten, fast ein Viertel des Bandes einnehmenden Beitrag. Das ist der Dank an einen Verleger, der ein halbes Dutzend Bücher Stolpers veröffentlichte, aber vor allem: das Porträt eines Mannes, der, im Schatten der großen Verlage, ungeheuer viel für Autoren getan hat, die es schwer haben, und dabei immer genau rechnen musste. Eine Würdigung also, aber von eigener Art. Von Selbstausbeutung ist die Rede, doch auch von manch anderem, so von der abenteuerlichen Geschichte des Gebäudes, in dem dieser Verlag ansässig ist, von den Haustieren, die Stascheit um sich versammelt -, bis zu jener Ziege, die, »elegant wie ein edles Pferd«, mühelos einen zwei Meter hohen Zaun überspringt.

Das alles liest man mit Vergnügen. Langeweile kommt auch sonst nicht auf, obwohl man sich des Öfteren wundert, welche verschlungenen Assoziationsketten Stolper aufbaut - er rede nur zu gerne, räumt er ein. Da wird sein alter Schreibtisch erwähnt. Die Familie will ihn bewegen, endlich einen neuen zu kaufen, aber er weigert sich: Was hat er in 30 Jahren alles an ihm geschrieben.

Unversehens kommen Erinnerungen ins Spiel, ein Zwiegespräch mit Fred Wander, dem verstorbenen Freund, beginnt, Maxie Wander und Heiner Müller werden aufgerufen, auch der jüdische Schriftsteller Georg Hermann, der in Auschwitz endete. Wer denkt heute noch an Hermann? Nicht zuletzt deshalb erinnert Stolper an ihn, aber hier zeigt sich auch ein phänomenales Wissen. Dafür ein anderes Beispiel: In dem amüsanten Text »Im Tiergarten«, der einen Spaziergang mit dem Leipziger Dichter Horst Drescher schildert, zitiert er en passant den spätromantischen Lyriker Emanuel Geibel wie auch einen Brief Lenins, den der 25-jährige Uljanow an seine Mutter schrieb, »als er bei Frau Kureick in der Flensburger Straße 12 im zweiten Stock wohnte« - sie waren einstmals am gleichen Ort.

Noch einige Worte zu anderen Beiträgen des Bandes. Tief berührend ist der Text »Im zehnten Jahr danach« zu Alfred Matusche, erschienen 1986 in »Sinn und Form«. Bereits damals setzte sich Stolper für diesen immer noch verkannten Dichter ein, und hier wird er auch polemisch. Warum wissen die Leute nicht, dass es dich gegeben hat, fragt er, erbost zieht er gegen einen ignoranten Zeitungsschreiber zu Felde. Auch der Essay zur BAM, dieser legendären russischen Eisenbahnlinie, muss erwähnt werden, und dann natürlich der erste Beitrag des Bandes: »Sechs kleine Bücher im Heftformat« - gemeint ist die Sammlung von Stolpers Programmheften für das Senftenberger Stadttheater, wo er mit 19 seine Karriere als Dramaturg begann. Eine ungeheuer schöne und fruchtbare Zeit nennt er die Jahre dort.

Wer mehr über Stolpers Schaffen als Theatermensch erfahren will, lese sein 1999 erschienenes Buch »Wir haben in der DDR ein ganz schönes Theater gemacht«. Von Senftenberg aus war er nach Berlin an das Maxim Gorki Theater und 1962 an das Deutsche Theater unter Wolfgang Langhoff gegangen; die Reihe der berühmten Schauspieler und Regisseure, mit denen er im Lauf der Jahre zusammenarbeitete, ist fast endlos. Dass er seine Anfänge in der Lausitzer Braunkohlenregion nicht vergessen hat, zeigt dieses neue Buch.

Armin Stolper: Beaujolais und Bücher. GNN Verlag Schkeuditz, 240 S., brosch., 12,50 €.

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