nd-aktuell.de / 05.05.2012 / Kultur / Seite 26

BLOGwoche: Demokratie via Internet

Peter Berger

Die arrogante Attitüde, dass die Chaostruppe der Piratenpartei mit ihren uferlosen Diskussionen ja doch nie zu einer klaren Entscheidung komme, dürfte sich mit deren Bundesparteitag am letzten Wochenende ziemlich erledigt haben. Denn in Neumünster fassten die Piraten nicht nur eindeutige Beschlüsse zu einigen strittigen Fragen ihrer jüngsten Vergangenheit, sondern bewältigten das umfangreiche Pensum außerordentlich diszipliniert und zielführend - einschließlich einer Vorstandswahl, deren Ablauf sich wohltuend von den quälenden Personaldiskussionen abhob, die derzeit die »etablierten« Grünen, FDP, Linken und die SPD führen.

Den Piraten gelingt die Zusammenführung von umfassender Basisdiskussion und allgemein akzeptierten Entscheidungen nicht trotz ihrer ausgeprägten Debattenkultur, sondern gerade wegen ihr. Wo jede Meinung so viel wie die andere gilt und alle die Chance haben, sich in den Beschlussfindungsprozess einzubringen, ist auch die Bereitschaft vorhanden, das Votum der Mehrheit zu achten und umzusetzen; die ständige Beobachtung seitens der Parteibasis trägt dazu ihr Teil bei. Sie sorgt auch dafür, dass gewählte Funktionäre nichts anderes sind als Moderatoren und Kommunikatoren; auch ihre Meinung zählt nicht mehr als die jedes anderen Mitglieds. Mit dem alten autoritären Modell, dass irgendwelche - oft selbst ernannte - Führungsfiguren in einer Partei den Ton angeben und für sie die Ziele, die Inhalte, die Vorgehensweisen formulieren, geht es im Zeitalter des Internets unwiderruflich zu Ende. Die repräsentative Demokratie, die aus ganz praktischen Gründen jahrzehntelang die wirkliche Demokratie - nämlich die Volksherrschaft unter Einbeziehung aller ihrer Glieder - ersetzen musste, verliert ihre Daseinsberechtigung in dem Maße, wie diese wirkliche Volksherrschaft via Internet durch alle möglich wird

Wie sehr die alte repräsentative Demokratie ausgespielt hat, war an der wachsenden Parteienverdrossenheit und der ständig sinkenden Wahlbeteiligung seit langem ablesbar. Dass es gegenwärtig eine neue Lust am Politikmachen gibt und viele Nichtwähler wieder in die Wahllokale gehen, zeigt die Sehnsucht nach mehr Demokratie und die Bereitschaft zur Nutzung der neuen Möglichkeiten des Mitbestimmens.

Der Autor ist Journalist und lebt in Berlin; zum Weiterlesen: www.blogsgesang.dei[1]

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