Attentat auf einen Premier

KALENDERBLATT

  • Rolf Höller
  • Lesedauer: 2 Min.

Ein einziges Mal in der langen britischen Geschichte fiel ein Premierminister einem Attentat zum Opfer. Die Vorgeschichte begann 1803, als das russische Schiff »Sojus« im Weißen Meer versank. Damals war die Nordseeroute um Norwegen herum gegenüber der Ostsee bevorzugt, zumal der Golfstrom auch winters eine weitgehend eisfreie Passage gewährleistete. Hingegen leistete die warme Meeresströmung Herbststürmen Vorschub. So zeigte sich die Versicherungsagentur Lloyd's nicht überrascht, als die Schadensmeldung in London eintraf. Ungewöhnlich war nur, dass ein anonymes Schreiben folgte. Darin wurde angedeutet, beim Untergang des stolzen Schiffes sei ein wenig nachgeholfen worden.

Der Eigner, Soloman Van Brienen, suchte den Verräter in den eigenen Reihen. In John Bellingham glaubte er ihn gefunden zu haben. Der Frachtmakler war in den Jahren zuvor zwischen den Häfen Liverpool und Archangelsk gependelt und hatte auch in beiden Städten gewohnt. Außerdem gehörte ihm ein Teil der Ware, die auf der letzten Fahrt der »Sojus« transportiert wurde. Van Brienen behauptete, Bellingham schulde ihm mehrere tausend Rubel, und zeigte den Briten beim Gouverneur der Region an. Obwohl Bellingham unverzüglich den Botschafter seines Landes einschaltete, landete er in einer Archangelsker Zelle bei Brot und Wasser.

Als er nach zwei Jahren endlich freikam, durfte er Russland nicht verlassen, sein Reisepass war eingezogen worden. Bellingham kehrte erst 1809 nach England zurück. Dort hatte inzwischen die Regierung gewechselt. Spencer Perceval hieß der neue Premierminister. Er musste sich mit einem nach der Weltherrschaft greifenden Napoleon, einer vehement Wahlrechtsreformen einfordernden Opposition, einem allmählich in den Wahnsinn abdriftenden König Georg III. und rebellischen, aus Protest gegen unmenschliche Arbeitsbedingungen Maschinen zerstörenden »Luddites« auseinandersetzen. Blieb wenig Zeit für die Eingaben eines Herrn Bellingham, der seine Entschädigungsansprüche für die lange Haft nicht mehr an die russische, sondern die britische Regierung adressierte. Auch das Vorsprechen bei einflussreichen Lobbyisten brachte dem Rechtsuchenden außer lauen Sympathiebekundungen nichts ein.

Schließlich passte der verbittertere Bittsteller den Regierungschef in der Lobby des Parlaments ab, eine geladene Pistole unterm Gehrock. Bellinghams Kugel traf Percival mitten ins Herz. Eine Woche nach dem Attentat endete auch das Leben des Attentäters - unterm Galgen des Gefängnisses von Newgate.

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