Gefragt sind Kriterien

Alternativen wozu?

  • Gregor Gysi
  • Lesedauer: 3 Min.

Alternativen gibt es immer nur zu etwas Bestimmtem. Je konkreter dies benannt wird, desto größer ist die Menge möglicher Alternativen. Die Alternativen zum »Kapitalismus« sind alle möglichen nichtkapitalistischen Gesellschaftsformen. Wenn wir dagegen den Begriff des Kapitalismus näher betrachten, so erscheinen viele Möglichkeiten, wie sich kapitalistische Herrschaftsverhältnisse in unterschiedlichen Gesellschaften und in unterschiedlichen Epochen darstellen.

Jede dieser Ausprägungen hat andere mögliche Ausprägungen als Alternative zu sich selbst. Schon deshalb ist das Prinzip der Alternativlosigkeit falsch. Aber es wird auch deutlich, dass Alternativen nicht immer etwas Begrüßenswertes sind.

Zu demokratisch verfassten Staaten gibt es - als »Alternative« - die Diktatur. Ein anderes Beispiel: Die Hartz-»Reformen« sind natürlich eine Alternative zu den vorher existierenden institutionellen Sicherungen sozialstaatlicher Garantien. Das gilt auch für die Alternativen zum Kapitalismus. Ein möglicher »Ausgang« des Klassenkampfs ist nach Marx auch der gemeinsame Untergang der kämpfenden Klassen. Bezogen auf heute kann das auch etwas Katastrophales sein. Das wäre mit Sicherheit keine gute Alternative. Reden wir also über Alternativen, ist nicht nur die Unterscheidung zwischen Alternativen im Kapitalismus und Alternativen zum Kapitalismus sinnvoll, sondern auch die Unterscheidung zwischen begrüßenswerten und abzulehnenden Alternativen. Gefragt sind also Kriterien.

Für die Kämpfe um innerkapitalistische Alternativen genießt der Begriff der Gerechtigkeit Vorrang. So hat der Begriff der Einkommensgerechtigkeit, dessen Kern sicher der gerechte Lohn ist, seinen primären Sinn innerhalb kapitalistischer Eigentumsverhältnisse, es geht um die Anteile am produzierten Reichtum. Darum wird gekämpft. Ebenso kann man in der Beurteilung der politischen Ordnung und möglicher Alternativen zu ihrer konkreten Gestalt über die Machtverteilung sprechen. Es ist nicht gerecht, wenn privilegierte Leute ihre Macht über die veröffentlichte Meinung ausüben, weil sie Zeitungen mit großer Auflage oder private Fernsehsender besitzen können. Am Ende steht dann ein Berlusconi-System. Oder wenn Menschen den Eindruck haben, dass »die da oben« machen, was sie wollen, dann bedeutet das für die politische Inklusionskraft der Demokratie nichts Gutes. Umgekehrt wird dann klarer, was eine demokratische Reform wäre: Mehr wirksame Beteiligung aller am politischen Willensbildungsprozess.

Alternativen zum Kapitalismus benötigen dagegen Kriterien, deren Bezug zu innerkapitalistischen Auseinandersetzungen nicht so innig ist, dass es bei innerkapitalistischen Verteilungskämpfen bleibt, die aber trotzdem verständlich sind. Im Kapitalismus gibt es verteilungspolitische Klassenkämpfe um den Mehrwert. Eine sozialistische Gesellschaft dagegen soll die Produktion und die Verwendung des Reichtums zum Gegenstand demokratischer Herrschaft machen. Das zentrale Kriterium wäre also Emanzipation. Spiegelt man diesen Begriff aber in die innerkapitalistischen Auseinandersetzungen zurück, wird deutlich, dass eine Reihe von Institutionen jedoch Emanzipationsgewinne repräsentieren. Gewinne, die jederzeit bedroht sind. Dazu gehören Sozialstaatlichkeit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Das sind Verfassungsprinzipien, die im Begriff sozialer Demokratie verschmelzen und eine Perspektive erkennen lassen, die den Horizont kapitalistischer Produktionsverhältnisse überschreitet. Demokratie kann ihre Grenze nicht dort finden, wo das Privateigentum an Produktionsmitteln beginnt. Im Gegenteil! Der Produktionsprozess gehört zum gesellschaftlichen Lebensprozess und muss den gleichen Prozessen der Steuerung unterworfen werden können, wie das bei der politischen Macht durch demokratische Verfahren der Fall sein kann. Denn Privateigentum an Produktionsmitteln, vor allem in Gestalt des konzentrierten Kapitals und der völlig entfesselten Finanzmärkte, stellt ja auch eine Macht dar, deren Kontrollbedürftigkeit wohl kaum noch bezweifelt werden kann.

Der innerkapitalistische Kampf um die Verteidigung und den Ausbau der sozialen Demokratie ist dann immer auch eine Auseinandersetzung, die über den Kapitalismus hinauswirken kann.

Gregor Gysi ist Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Bundestag.-
Gregor Gysi ist Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Bundestag.-
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