Bestechung bis 300 Euro erlaubt

EU-Abgeordnete genehmigen sich Geschenke trotz Kritik aus den eigenen Reihen

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Europäische Parlament hat neue Vorschriften für Vorteilsannahme beschlossen. Danach dürfen Abgeordnete Zuwendungen bis zu 300 Euro verschweigen - um Bestechung zu verhindern, wie es heißt.

Es sind Geschenke, die nicht jeder bekommt: eine Hotelübernachtung, eine Reise im Flugzeug oder in der Bahn, ein Abendessen in einem besseren Restaurant, eine Flasche Champagner. Die Abgeordneten des EU-Parlaments gehören jedoch zu denjenigen, denen solche Dinge sehr wohl angeboten werden. Nicht immer, nicht allen, aber es passiert. Oft nur, weil der Anbieter weiß: Diese Person kann Entscheidungen treffen - vielleicht auch in seinem Sinne, wenn er ihm etwas schenkt.

Bestechung nennt man das. Sie wird vom Europäische Parlament nicht gänzlich ausgeschlossen. Denn Vorteilsnahme bis zu 300 Euro ist gestattet. Das hat vor kurzem das höchste Entscheidungsgremium des EU-Parlaments - das Präsidium mit dem deutschen Präsidenten Martin Schulz (SPD), den 14 Vizepräsidenten und fünf sogenannten Quästoren, die aus den Reihen der EU-Abgeordneten kommen - mehrheitlich beschlossen. Künftig gilt: Wenn ein Abgeordneter eine Hotelübernachtung geschenkt bekommt, die weniger als 300 Euro kostet, braucht er darüber niemanden zu informieren. Bei Flügen besteht die Informationspflicht erst ab Reisen in der Businessclass, bei Bahnreisen ab Tickets für die 1. Klasse. Auch von Einladungen zum Essen oder anderen »Zuwendungen« im Wert von bis zu 150 Euro braucht keiner etwas zu wissen. Ein Beratungsausschuss des EU-Parlaments hatte empfohlen, auf Ausnahmen zu verzichten und alle Zuwendungen offen zu legen. Das Präsidium lehnte dies jedoch ab.

Dennoch stellen die neuen Vorschriften eine Verbesserung gegenüber den bisher gültigen Regeln dar. Sie sollten überarbeitet werden, nachdem es 2011 zu einem Skandal gekommen war. Journalisten der britischen »Sunday Times« hatten sich damals als Lobbyisten ausgegeben und EU-Abgeordnete gebeten, gegen Geld Gesetzestexte zu ändern. Drei Politiker waren dazu bereit.

Die neuen Regeln, die das Präsidium jetzt verabschiedet hat, sollen so etwas in Zukunft verhindern. Für den Münchener EU-Abgeordneten Gerald Häfner (Grüne), der dem Beratungsausschuss angehörte, reichen sie aber nicht aus, um sich und seine Kollegen über jeden Bestechungsverdacht erhaben zu machen. »Zuwendungen von Dritten können immer Fragen zu Interessenkonflikten aufwerfen und deshalb gehören alle Zuwendungen veröffentlicht«, kritisiert er die Entscheidung des Präsidiums. Für Ausnahmen hat er kein Verständnis.

Der irische Abgeordnete und Quästor Jim Higgins dagegen schon. Ohne Begrenzung der Beträge müssten EU-Abgeordnete jedes Busticket oder jede Taxifahrt angeben, die ihnen jemand bezahlt, meint der Parlamentarier. Seine Fraktionskollegin Astrid Lullig aus Luxemburg verteidigt die Regelungen ebenfalls: »Es gibt doch kein Hotelzimmer unter 300 Euro, und wir EU-Abgeordneten können ja nicht in der Jugendherberge übernachten.« Alle Beträge unterhalb eines bestimmten Schwellenwerts anzugeben und zu dokumentieren, sei unnötiger administrativer Aufwand.

Vor allem die konservativen Kräfte im Präsidium teilen solche Meinungen. Sie haben die großzügige Haltung im Umgang mit den Zuwendungen durchgesetzt. Grüne und Sozialdemokraten kritisieren sie weiter. Die beiden Fraktionen haben angekündigt, die Entscheidung nicht zu akzeptieren. Sie möchten, dass das Plenum des Parlaments über die neuen Regeln abstimmt. Ob und wann das geschieht, ist noch offen.

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