»Grüne Ökonomie« ist eine Hülse

Jens Martens setzt beim UN-Gipfel »Rio+20« auf den Start der Transformationsdebatte

  • Lesedauer: 6 Min.
Am kommenden Mittwoch beginnt der UN-Gipfel »Rio+20« über nachhaltige Entwicklung. Seit knapp einer Woche verhandeln Vertreter von rund 190 Staaten in der brasilianischen Stadt auf Arbeitsebene über den Entwurf für das Abschlussdokument, während sich die Zivilgesellschaft zu einem »Gipfel der Völker« versammelt hat. Bislang sind die Verhandlungen kaum vorangekommen, erklärt Jens Martens, Leiter des Europa-Büros der Nichtregierungsorganisation »Global Policy Forum«. Mit dem Di-plom-Volkswirt sprach Kurt Stenger.
Jens Martens
Jens Martens

nd: Die brasilianische Präsidentin Dilma Roussef hat als Gastgeberin die Teilnehmer des Rio+20-Gipfels aufgerufen, sich für ein Abkommen einzusetzen, das den ökologischen und sozialen Bedürfnissen des Planeten gerecht wird. Ist so ein großer Wurf realistisch?
Martens: Nein. Angesichts der Kontroversen zwischen den Regierungen ist mit einem großen Wurf nicht zu rechnen. Wir hoffen, dass es überhaupt zu einem Abschlussdokument kommt mit einigen fortschrittlichen Entscheidungen zur Ökologisierung der Wirtschaft, zur Stärkung der Vereinten Nationen im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich und zur Verabschiedung neuer globaler Entwicklungsziele.

Die Vorbereitungen erinnern an die UN-Klimaverhandlungen. Es geht im Schneckentempo voran, es gibt vielfältige Kontroversen. Und diesmal ist das Themenspektrum viel komplexer.
Das Desaster des Kopenhagener Klimagipfels von 2009 hängt wie ein Damoklesschwert über dieser Konferenz. Alle fürchten, dass es auch hier zum Scheitern kommt. Genau das ist in gewisser Weise auch ein Vorteil, denn alle sind bestrebt, zumindest einen Minimalerfolg zu erzielen. Aber wir als Nichtregierungsorganisation sagen, dass angesichts der globalen Krisen diplomatische Formelkompromisse bei weitem nicht ausreichen.

Wie weit ist die Vorbereitung des Rio-Gipfels vorangekommen?
Die Regierungen sitzen schon seit zwei Jahren an der Vorbereitung dieser Konferenz, die Verhandlungen über das Abschlussdokument laufen seit Januar dieses Jahres. Am Anfang hatte das Dokument über 200 Seiten, das ist inzwischen auf 80 Seiten reduziert worden. Davon sind im Moment noch 80 Prozent strittig. Aktuell verhandeln die Regierungen in ungefähr 20 kleinen Gruppen über einzelne Themen. Wir hoffen, dass sie im Laufe der nächsten Tage soweit sind, dass beim eigentlichen Gipfel ein endgültiges Dokument verabschiedet werden kann.

Besonders umstritten ist die von Industrieländern und besonders von der EU geforderte Weichenstellung für eine »Grüne Ökonomie«. Entwicklungsländer warnen vor einem »grünen Protektionismus«, Nichtregierungsorganisationen vor einer Kommerzialisierung des gesamten Ökosystems. Kann es hier überhaupt eine Annäherung geben?
Das Konzept der »Grünen Ökonomie« ist zunächst eine leere Hülse, die man nach Belieben mit Inhalten füllen kann. Die einen meinen damit die Ökologisierung des Finanzsystems, die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen, ökol-soziale Steuerreformen und Investitionen in erneuerbare Energien. Andere verstehen darunter eher die technokratische Lösung der Klimaprobleme über Geo-Engineering, das heißt Eingriffe in die Natur. Es gibt keine einheitliche Definition für »Grüne Ökonomie«. Und das ist genau das Problem, denn die Länder des Südens sagen, wir wollen nicht etwas unterstützen, von dem wir am Ende möglicherweise eher Nachteile haben. Zu erwarten ist in Rio daher, dass am Ende ein Minimalkompromiss herauskommt. Man wird sich auf Instrumentenkästen mit guten Beispielen einigen, in denen Vorschläge, wie eine Wirtschaft grüner gestaltet werden kann, aufgenommen werden. Das tut keinem weh, bringt aber kaum Fortschritte bei der Bewältigung globaler Krisen.

Trotz der Bedeutung der Klimagipfel ist der Bereich Umweltpolitik innerhalb der UNO eher unbedeutend. In Rio geht es daher auch um eine Aufwertung des UN-Umweltprogramms (UNEP). Wie genau könnte diese aussehen?
Leider ist die substanzielle Aufwertung des UN-Umweltprogramms nicht unumstritten. Es gibt die Forderung, die von der EU und den afrikanischen Ländern unterstützt wird, UNEP zu einer Sonderorganisation der UN zu machen, wie etwa die Weltgesundheitsorganisation. Das wird vor allem von den USA strikt abgelehnt. Länder wie China und Indien befürchten zudem, dass es durch die Stärkung des Umweltprogramms innerhalb der UNO zu einer Verschiebung weg von entwicklungspolitischen hin zu umweltpolitischen Institutionen kommt. Das ist aus meiner Sicht ein Fehler. Der Umweltbereich ist in den Vereinten Nationen politisch schwach und finanziell unterausgestattet. Es ist überfällig, UNEP aufzuwerten. Gleichzeitig bräuchte man aber ein ebenso starkes Gremium, das für Nachhaltigkeitsfragen im weiteren Sinne verantwortlich ist und für Kohärenz und Koordination zwischen all den UN-Organisationen sorgt, also einen UN-Nachhaltigkeitsrat.

Ein weiterer Vorschlag ist die Verabschiedung konkreter Ziele zu nachhaltiger Entwicklung, ähnlich den Millenniumszielen. Worum geht es hier?
Die Idee ist, dass die Regierungen sich auf zeitlich gebundene und quantitativ klare Ziele im Bereich nachhaltiger Entwicklung festlegen, wie es bei den Millenniumsentwicklungszielen geschehen ist. Allerdings sind diese schwach und haben den Entwicklungsdiskurs auf Armutsbekämpfung im engeren Sinne reduziert. Wichtige Themen wie Ökologie, Menschenrechte, aber auch der Einfluss der globalen Finanzsysteme und der Konsum- und Produktionsweisen der Länder des Nordens auf die Entwicklung im Süden werden darin nicht berücksichtigt. Die Überlegung ist nun, Nachhaltigkeitsziele zu formulieren, die nicht nur für die armen Länder gelten, sondern auch die reichen Länder des Nordens stärker in die Pflicht nehmen. Wir erwarten allerdings nicht, dass es in Rio dazu konkrete Beschlüsse gibt. In Rio wird allenfalls ein Prozess in Gang gesetzt, der dann bis zum Jahr 2015, das ist das Zieljahr der Millenniumsziele, zur Verabschiedung neuer globaler Nachhaltigkeitsziele führt.

Der Erdgipfel von Rio 1992 war mit sehr großen Hoffnungen verbunden. Es gab die Agenda 21, Anstöße zu internationalen Umweltabkommen. Später kamen die Millenniumsziele hinzu. In all diesen Punkten herrscht ja eigentlich längst Ernüchterung. Wird das bei Rio+20 ähnlich sein?
Man muss sich immer klar machen, dass der Wert solcher großen UN-Gipfel nicht allein in der Abschlusserklärung liegt, sondern darin, dass durch sie politische Prozesse und Diskurse in Gang gesetzt werden. Nur ein Beispiel: Vor 17 Jahren beim Weltgipfel für soziale Entwicklung in Kopenhagen wurde das erste Mal der Vorschlag für eine Finanztransaktionssteuer in die Debatte gebracht. Damals wurde er als absolut unrealistisch abgetan. Aber er ist dadurch erst in die Diskussion gekommen, er wurde politisch hoffähig gemacht, und wir stehen ja im Moment möglicherweise vor dem Durchbruch bei der Einführung einer solchen Steuer, zumindest in Europa. Das heißt, durch solche UN-Gipfel werden Initiativen in Gang gesetzt, die erst wesentlich später politische Früchte tragen. Wir hoffen, dass es in Rio zum Beispiel gelingt, die Kritik an der verfehlten Wachstumsorientierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik stärker in den politischen Diskurs zu bringen, das heißt, sich auch auf der politischen Ebene mit Alternativen zur rein wachstumsorientierten Politik auseinanderzusetzen.

Werden nicht gerade die Industrieländer versuchen, das große neue Thema »Transformation« aus dem Rio-Prozess herauszuhalten, da es um die Abkehr von ihrem Wirtschaftsmodell geht?
Selbst die meisten Regierungen des Nordens geben inzwischen zu, dass die reine Orientierung am Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nicht ausreicht, um sozialen Fortschritt und das Wohlergehen der Bevölkerung zu stärken. Das ist inzwischen auf der UN-Ebene verbaler Konsens, wurde bisher aber nicht in konkrete politische Schlussfolgerungen übersetzt. Davon ist auch in Rio nicht auszugehen. Das, was eigentlich für die »große Transformation« notwendig wäre - radikale Veränderungen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, der Landwirtschafts- und Energiepolitik -, wird in Rio bestenfalls angedeutet. Es wird aber sehr stark von zivilgesellschaftlichen Organisationen eingefordert - bei der Konferenz selbst und beim »People's Summit«, dem »Gipfel der Völker«, wo diese Fragen im Zentrum stehen. Noch mal: Es geht bei der Konferenz nicht nur um das offizielle Abschlussdokument, sondern es geht auch darum, in den Aktivitäten am Rande der Konferenz und beim Parallelgipfel, über Alternativen nachzudenken und dazu zivilgesellschaftliche Strategien zu formulieren.

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