Junge Leute aus der Parallelwelt

Ein neues Buch wirft einen unkritischen Blick auf die Piratenpartei

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Piraten haben über 30 000 Mitglieder. Zwei Autoren haben sich die Partei nun genauer angesehen.

Warum sind die Piraten so erfolgreich? Was bedeutet »Liquid Democracy«? Es dürfte hierzulande kaum eine Zeitung geben, die diese Fragen im vergangenen Jahr nicht vielfach durchgekaut und darauf die immergleichen ermüdenden Antworten gegeben hat. Man kann sie schon auswendig herunterbeten: Es geht um die Überwindung der »Distanz zwischen dem Bürger und der repräsentativen Demokratie«, um »Transparenz« in Politik und Verwaltung, um elektronische Formen der Basisdemokratie, »Netzpolitik«, Mitbestimmung, Bürgerbeteiligung.

Die Piraten hätten einen »undogmatischen, pragmatischen Ansatz«, sie seien jedenfalls »keine reine Protestpartei«, sondern vielmehr »mit allen in Deutschland vertretenen demokratischen Parteien kompatibel«. Das zumindest sagt der im »Investigativ-Ressort« der Boulevard-Illustrierten »Focus« tätige Armin Fuhrer, der gemeinsam mit dem Politikwissenschaftler Stefan Appelius ein Buch über die Piraten verfasst hat.

Kongresse und Parteitage habe man besucht, viele Interviews mit Parteifunktionären geführt. Doch herausgekommen scheint dabei nichts Neues zu sein: Die »etablierte Politik«, so Fuhrer, habe es »verschlafen«, dass eine »Parallelwelt existiert, in der sich junge Leute aufhalten«. Die Piraten seien die »Stimme dieser Parallelwelt« und zögen Nutzen aus der Tatsache, dass viele Wähler sich von der Teilhabe an politischen Entscheidungen ausgeschlossen fühlen. Appelius bestätigt das: Vor allem Menschen, »die sich von den etablierten Parteien dauerhaft abgewandt haben«, fühlten sich von den Piraten angesprochen.

Die Partei, die sich seit ihrem Berliner Wahlerfolg im September vergangenen Jahres (8,9 Prozent) in einem »stürmischen Selbstfindungsprozess« befinde, habe zwar »noch keine Konzepte zur Euro-Krise und zur Steuerpolitik« und in ihren Reihen obendrein »sehr unterschiedliche Positionen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik«, wirke aber, als habe sie einen »größeren Tiefgang« als die üblichen sogenannten Protestparteien. Was damit genau gemeint sein könnte, bleibt im Dunkeln. Ein »Investigativ-Ressort« braucht man jedenfalls nicht, um solche Informationen zutage zu fördern. Und auch die vorschnelle Einstufung der Piraten als Partei mit »enormem Protestpotenzial« ist äußerst fraglich.

Zeichneten sich althergebrachte Protestparteien noch dadurch aus, dass sie verbal gelegentlich über die Stränge schlugen und den von Beliebigkeit, Lobbyismus, Langeweile und Bürokratie gekennzeichneten Demokratiebetrieb infrage stellten, wirken viele Funktionsträger der Piraten mit ihrem rein technischen Politikverständnis tatsächlich selbst beliebig, wie blasse, biedere Polit-Manager, die stets vorgeben, »sachorientiert« und »pragmatisch« arbeiten zu wollen. Das Bundesvorstandsmitglied Matthias Schrade etwa, das während der Buchvorstellung anwesend ist, sagt stolz: »Wir können grundsätzlich mit allen Parteien zusammenarbeiten. Wir glauben nicht, dass die anderen Parteien reif sind, mit uns zusammenzuarbeiten.« Vielleicht sind es solche müden Versuche, die jederzeitige Bereitschaft zu Fügsamkeit und Anbiederung in Keckheit und Modernität umzulügen, die die Apparatschiks der Partei oft nicht weniger unangenehm erscheinen lassen als die sogenannten Etablierten.

»Möglichst viele Menschen sollen auf unterschiedlichste Art eigene Vorschläge einbringen und weiterentwickeln, ohne Zwang, ohne Lobbyisten«, laute eine wichtige Erkenntnis, die er über den »speziellen Politikstil« der Piraten gewonnen habe, so Stefan Appelius. Doch was die fortwährend beschworene »Transparenz« der »Mitmachpartei« (Fuhrer) angeht, liegt im praktischen politischen Alltag vieles im Argen: Die heute endende Fraktionsklausur der 15-köpfigen Berliner Piratenfraktion fand etwa - »Liquid Feedback« hin, Mitbestimmungsfetisch her - hinter verschlossenen Türen statt. Auch im Kreistag von Vorpommern-Greifswald ist am Montag zum wiederholten Mal das Vorhaben der Piraten, ihre Sitzung im Internet zu übertragen, gescheitert. Die Hälfte der 63 Kreistagsabgeordneten stimmte in geheimer Wahl dagegen. Die schon aufgestellten Kameras mussten wieder abgebaut werden.

Stefan Appelius/Armin Fuhrer: Das Betriebssystem erneuern. Alles über die Piratenpartei. Berlin Story Verlag, Berlin 2012. 334 S., 19,80 Euro.

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