Unter der Käseglocke

Das alte Militärareal Sperenberg wurde in den 90ern zum Faustpfand der Berliner Airport-Planer - es folgten 20 verlorene Jahre

  • Roland Heine
  • Lesedauer: 7 Min.

»Immer Do 9.45 Junggeflügelverkauf hier« steht auf dem rosafarbenen Papier an einer der uralten Eichen. Große Gehöfte im Halbrund, in der Mitte Kirche, Kindergarten, Sitzbänke - der Dorfplatz von Schöneweide am Tal der Nuthe hat etwas Idyllisches. Irgendwo läuft ein Radio, wieder einmal ist vom Debakel am neuen Hauptstadtairport BER die Rede. Der liegt mehr als 30 Kilometer im Nordosten, die Nachrichten von dort klingen wie aus einer fernen Welt. Doch es gab eine Zeit, da lag Schöneweide mittendrin in jener Welt - und sollte deshalb verschwinden.

Gleich hinterm Dorf beginnt das frühere Militärgelände Sperenberg-Kummersdorf. Schon zur Kaiserzeit wurde es eingerichtet, nach 1945 nutzen es sowjetische Truppen. »Oft donnerten die Hubschrauber gerademal in Haushöhe über die Dörfer, Fallschirmjäger übten, es gab Höllenlärm«, sagt Ralf Kaim, ein robuster Mann, in der Gegend geboren und hier schon zu DDR-Zeiten Munitionsräumer. Erst 1994, als das letzte Flugzeug in Richtung Russland gestartet war, wurde es still. Doch da wusste man in Schöneweide längst, dass es noch schlimmer kommen könnte: Kindergarten, Kirche, das ganze Dorf, so hieß es, müssen weg - für eine Landebahn.

Ein Fall von Größenwahn

»Wir dachten erst: Sind die verrückt?«, erzählt Kaim. Doch inzwischen hatte in Berlin und Bonn die Standortsuche für einen neuen Hauptstadtflughafen begonnen, das Sperenberg-Areal gehörte schnell zu den Favoriten. »Es hieß: Die paar Leute dort sollen sich nicht so haben, bei denen war immer ein Flugplatz vor der Tür. Aber ich habe doch auch ein Leben. Familie, Haus, Arbeit - das ist doch alles hier.«

Carsten Preuß wohnte damals in den frühen 1990ern im Ort Sperenberg, der am Ostrand des Militärareals liegt. »Es gab bald ziemlich konkrete Pläne für die Startbahnen - für bis zu 60 Millionen Passagiere, das war schon größenwahnsinnig.« Beim Hauptstadtairport in Berlin-Schönefeld, der am 3. Juni eröffnet werden sollte, sind 27 Millionen anvisiert.

Kaum jemand ahnte damals, dass der Status als potenzieller Airport-Standort in jedem Fall tief greifende Folgen für die Gegend haben sollte - ganz egal, wo der Flughafen am Ende gebaut würde. »Befürworter und Gegner eines Flughafens in Sperenberg hielten sich hier zunächst etwa die Waage«, erzählt Preuß. Der zuständige Landrat in Zossen, Peer Giesecke, erklärte: »Wir brauchen den Flughafen, weil unsere Region sonst wirtschaftlich tot ist.«

Preuß sah das anders. Mit Gleichgesinnten gründete er die Bürgerinitiative »Flughafen Sperenberg - Nein Danke«, auch Kaim war dabei. »Wir haben Informationen gesammelt und versucht, den Leuten die Konsequenzen zu erklären, die zu erwartende Lärmbelastung, die Folgen für die Umwelt«, sagt Preuß. »22 Millionen Bäume auf 3300 Hektar hätten abgeholzt werden müssen - eine für Deutschland beispiellose Waldvernichtung. Doch es ging uns nicht nur um Sperenberg: Wir argumentierten generell gegen den Bau eines Großflughafens in Berlin-Brandenburg.«

Es gab Protestaktionen und Demonstrationen. Mancher Lokalpolitiker, der zunächst für den Flughafen war, änderte seine Meinung. In Berlin-Schönefeld, als Standort ebenfalls im Gespräch, blieb es zu jener Zeit vergleichsweise ruhig. »Dort glaubte man nicht, dass ein Großflughafen, ein Luftdrehkreuz womöglich, zwischen die Stadtrandsiedlungen gesetzt würde«, sagt Preuß. Doch in der damaligen Kohl-Regierung und der Westberliner CDU, denen es vor der Berührung mit der Ostprovinz offenbar graute, wurde das berlinnahe Schönefeld bald favorisiert. »Die wollten Sperenberg nicht und sahen in uns Verbündete«, erinnert sich Preuß. »Jedenfalls bekam die Bürgerinitiative aus dieser Ecke manche Information, wurden Argumente ausgetauscht.«

Am 28. Mai 1996 dann knallten im Dörfchen Schöneweide und rund um das Militärgelände die Korken: Obwohl Berlin-Schönefeld zuvor im vergleichenden Raumordnungsverfahren nicht gut weggekommen war, legten sich die drei Flughafengesellschafter - Bund, Berlin und Brandenburg - auf diesen stadtnahen Standort für den neuen Flughafen fest. Für Preuß, Kaim und die Sperenberger Bürgerinitiative ein Sieg auf der ganzen Linie. So schien es jedenfalls. Doch dann kam das, was Kaim »die Käseglocke« nennt. Denn das Militärgelände blieb in der Hand des Bundes, als Faustpfand sozusagen, für alle Fälle. Offenbar war man sich nicht sicher, den Standort Berlin-Schönefeld auch durchsetzen zu können - und tatsächlich wuchs nun dort der Widerstand.

»Für uns hier bedeutete das schlicht Planungsstopp, vieles blieb über Jahre liegen«, erklärt Frank Broshog. Er ist Bürgermeister der Gemeinde Am Mellensee, zu der ein Großteil der Orte in der Gegend heute gehört, auch Sperenberg.

Viele Pläne - doch woher jetzt noch Geld?

In Kummersdorf Gut, wo Ralf Kaim wohnt, sind die Folgen zu besichtigen. Der rote Backstein-Bahnhof und das Einkaufszentrum aus DDR-Zeiten gammeln vor sich hin, durch die Siedlung führen holprige Sandwege. Hinter der stillgelegten Bahnstrecke dann Hunderte Ruinen: das alte Kasernengelände.

»In den 90ern, als die Hallen noch halbwegs intakt waren, wollten sich hier noch Firmen ansiedeln«, erzählt Kaim. »Wir hätten das gebraucht, es waren ja viele arbeitslos geworden. Aber das wurde nicht zugelassen - wegen der Flughafenpläne.« Kummersdorf ist da keine Ausnahme, bestätigt Bürgermeister Broshog: »Zwar gehören wir zum Boom-Landkreis Teltow-Fläming, doch gibt es hier leider viele Brachen, etliche Straßen müssen dringend saniert werden.« Und obwohl die Gegend touristisch attraktiv ist, fehlt es an Radwegen.

Auch 2007, als das Bundesverwaltungsgericht endgültig grünes Licht für Berlin-Schönefeld gab, änderte sich nichts. Bund und Regierung in Potsdam nahmen zwar Gespräche zur Übertragung des Areals an das Land Brandenburg auf. Doch die zogen sich hin, weil man sich nicht einigen konnte, wer wie viel für die nun anstehende Munitionsräumung zahlt. Erst Anfang März dieses Jahres übernahm Brandenburg schließlich das Areal. Die Käseglocke hob sich - nach fast 20 Jahren.

»Jetzt kann es endlich losgehen«, sagt Bürgermeister Broshog. In seinem Büro im neuen Verwaltungshaus der Kommune stapeln sich die Pläne. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat die Gemeinde Am Mellensee in den letzten Jahren manches auf den Weg gebracht: die neue Sporthalle, den Kita-Ausbau, den Internet-Breitbandzugang. Doch nun erwartet Broshog vom Land umfassende Hilfe beim Ausbau der Infrastruktur, der unverschuldete Rückstand müsse aufgeholt werden: »Als die Fördertöpfe noch voll waren, konnten wir sie nicht nutzen. Man versprach, dies später mit Ausgleichszahlungen zu kompensieren. Aber davon will die heutige rot-rote Landesregierung nichts wissen.« Die einstige Sperrfläche - etwa die Hälfte davon gehört zur Gemeinde Am Mellensee - will der Bürgermeister für Windräder und Solarstromanlagen nutzen. Doch auch die Solarstromförderung soll gekürzt werden, und die Hoffnung auf eine schnelle Umsetzung der Pläne schwindet.

Ein schräger CDU-Vorstoß und Rudi Dutschke

Auch Ralf Kaim und Carsten Preuß sind enttäuscht. Beide engagieren sich seit Jahren für den Erhalt historischer Unikate auf dem Militärareal, das einst als Heeresversuchsstelle diente und von Fachleuten als die eigentliche Wiege der Raketentechnik angesehen wird. »Für unseren Verein und unser Museum sind Führungen auf dem Gelände die wichtigste Finanzierungsquelle«, sagt Kaim. »Doch nach der Übernahme hat das Land die Auflagen dafür derart verschärft, dass Führungen nicht mehr möglich sind. Wie es weitergeht, ist unklar.«

Bürgermeister Broshog immerhin ist überzeugt, dass die wirtschaftliche Nutzung im Einklang mit der Museumskonzeption erfolgen kann. Dass derweil Forderungen etwa aus der märkischen CDU kommen, Sperenberg solle als Erweiterungsstandort für den angeblich zu klein geplanten Airport Berlin-Schönefeld quasi erneut unter Planungsvorbehalt gestellt werden, hält er für absurd: »Der Zug ist abgefahren. Solche Sprüche sind es allerdings, die Politik unglaubwürdig machen.«

Ganz am Südrand des einstigen Militärareals liegt - Ironie der BER-Geschichte - übrigens auch ein Ort namens Schönefeld. Am längst zugenagelten Dorfbahnhof weist ein Straßenschild auf eine wüste Fläche. »Rudi-Dutschke-Platz« ist zu lesen, ein Stück weiter steht das Elternhaus des Studentenführers. Einen Namen für ihren Airport Berlin-Sperenberg müsste die CDU nicht suchen.

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