Plattenbau

Chicha Libre: Canibalismo

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 2 Min.

Wah-Wah Surf Gitarren haben auch im Regenwald ihre Fans. Davon konnte sich Olivier Canon überzeugen, als er in Lima vor ein paar Jahren über Flohmärkte schlenderte - auf der Suche nach alten Tonträgern. Von den Socken war der in New York lebende Franzose, als er die Chicha entdeckte, einen psychedelischen Regenwald-Groove aus den 60ern. Die Chicha funktioniert ganz anders als ihr großer Bruder, die Cumbia aus dem benachbarten Kolumbien. Nicht das Akkordeon und die Bläser dominierten die Songs, sondern Gitarren und Synthesizer.

Canon begab sich auf die Suche nach dem ungewöhnlichen Sound. Ein paar CDs mit dem funkigen Twang der Surfgitarren buddelte er in Peru aus und spielte sie seinen Freunden in den USA vor. Die waren begeistert. So wurde aus den Chicha-Fans eine Band, die die Perlen von »Los Destellos«, »Los Shapis« oder »Ranil y su conjunto tropical« zunächst einfach nur nachspielte. Doch das war nur der Anfang.

Das Septett machte sich daran, seine Lieblingssongs einzustudieren und im Freundeskreis zu spielen. Der Sound aus dem Regenwald gewann im fernen Brooklyn an Fans, der Virus pflanzte sich fort und aus dem Spaß wurde mit Chicha Libre die Band, die der Chicha wieder auf die Beine half. Alte Alben wie jenes von »Los Destellos »wurden in den letzten Monaten ausgegraben, remastered und kursieren in einer wachsenden Fanszene. Chicha Libre waren da schon einen Schritt weiter und hatten mit »Sonido Amazonico« ihr Chicha-Debüt eingespielt. Das kam an. Die Band um Canon ging auf Tour, traf Chicha-Altmeister Ranil und spielte mit dem betagten Musiker ein Set im Berliner Haus der Kulturen der Welt und ging wenig später in Lateinamerika auf Tour.

Der Trip lieferte neue Inspiration. Das multinationale Musikerkollektiv ging ins Studio und ließ seiner Begeisterung freien Lauf. Herausgekommen ist dabei »Canibalismo«, das erste wirklich eigene Album der Band. Dabei hat das groovende Septett den Bogen raus, wie man der Chicha Beine machen kann. Das werden schon mal ein paar dubbige Elemente untergehoben und ein schrulliges Keyboard eingeführt, so dass der Sound noch eigenwilliger wird. Dazu passen die Texte, in denen etwa über falsche Nostalgie sinniert wird (»L'Age D'Or«), während die Band einen superben Retro-Sound vom Stapel lässt.

Bei »La Danza del Milionario« steht hingegen die Cumbia Pate, während es bei »Number Seventeen« etwas funkiger zugeht und dem Mathematikgenie des 19. Jahrhunderts, Carl Friedrich Gauss, eine paar Zeilen gewidmet werden. Ein zutiefst eigenwilliger und tanzbarer Silberling.

Knut Henkel

Chicha Libre: Canibalismo (Crammed Disc/Indigo)

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