nd-aktuell.de / 23.06.2012 / Kultur / Seite 26

Rummoserer im Internet

BLOGwoche

Antje Schrupp

Gestern spülte mir das Internet wieder mal einen dieser kulturpessimistischen Zeitungsartikel auf den Bildschirm, in denen jemand über den Verfall der Sitten lamentiert, über das Internet, das uns alle ausspioniert, darüber, dass wir alle sowieso Idioten sind, weil wir die Welt nicht genauso düster sehen, wie er, über die Tugendwächter überall, die Gutmenschen, die alles, was ihnen nicht passt, zum Skandal machen, darüber, dass man das N-Wort nicht mehr sagen darf und nirgendwo mehr rauchen, darüber, dass es im Zeitalter von Social Media praktisch unmöglich geworden ist, die jugendliche Geliebte vor der Öffentlichkeit zu verstecken, was es leider etwas mühselig macht, anderen Moral zu predigen.

Ja, man hat es schwer heutzutage. Ich twitterte dann:

»Leute, die einfach nur die Welt anprangern, wie sie ist, ohne den klitzekleinsten Vorschlag, was man nun tun soll. Wozu machen die das?«

Und:

»Wahrscheinlich zum Geld verdienen. Oder um sich wichtig zu tun. Ich glaube nicht, dass sie sich wirklich Sorgen machen.«

Lustigerweise werden mir meine eigenen Gedanken oft erst beim Twittern klar. Der Impuls, etwas zu twittern, zeigt mir, dass da für mich ein Thema drinsteckt, eine Spur, die es sich vielleicht zu verfolgen lohnt. Und das wird mir meist erst hinterher klar: Wenn ich meine Tweets nochmal lese, erfahre ich oft etwas über meine eigenen Ansichten.

In dem Fall merkte ich, dass mir gar nicht so sehr der kulturpessimistische Inhalt dieses Artikels auf die Nerven gegangen war - wie bei jeder Polemik enthielt auch dieser durchaus das eine oder andere Körnchen Wahrheit. Mich störte vielmehr die Tatsache, dass in diesem ganzen sehr sehr sehr langen Text nicht auch nur der Hauch eines Ansatzes eines Vorschlags gemacht wurde, was wir denn nun angesichts dieser an die Wand gemalten Katastrophe eventuell tun könnten.

Noch klarer wurde mir mein Unbehagen, als dann @oliverherold zurück twitterte:

»Ich sehe auch oft Probleme, die ich nicht lösen kann, deswegen bin ich nicht minder besorgt.«

Und damit hat er natürlich sehr Recht.

Die Autorin ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin und lebt in Frankfurt am Main; zum Weiterlesen: www.antjeschrupp.com[1]

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  1. http://www.antjeschrupp.com