Im Notfall selbst zahlen

Ab Juli müssen Berliner die Kosten für den Rettungswagen vorstrecken

  • Nissrine Messaoudi
  • Lesedauer: 3 Min.

Das lernt man schon als Kind: Im Notfall wählt man die 112. Falls nötig, schicken die Einsatzkräfte dann einen Rettungswagen. Daran hat sich bundesweit nichts geändert. Berliner müssen sich jedoch künftig auf ein Novum einstellen. Ab dem 1. Juli müssen die Hauptstädter die Kosten für die Fahrt mit dem Rettungswagen selbst entrichten - und erst dann mit ihrer Krankenkasse abrechnen. Kosten von rund 300 Euro kann sich indes nicht jeder leisten, auch wenn sie später erstattet werden.

Grund für das neue Verfahren ist ein Streit zwischen Feuerwehr und Krankenkassen. Nachdem die Kassen in diesem Jahr zwei Mal gegen die Feuerwehr vor Gericht zogen, kündigten sie nun die seit über 20 Jahre bestehende Vereinbarung mit dem Land Berlin auf. Hintergrund der gerichtlichen Auseinandersetzung war zum einen, dass die Krankenkassen selbst entscheiden wollen, wann ein Rettungswagen nötig ist, zum anderen wollen sie die Kosten für die Einsätze senken. Den ersten Fall verloren sie vor Gericht. Im Streit über die Höhe der Kosten wurde im laufenden Gerichtsverfahren ebenfalls zu Gunsten der Feuerwehr entschieden.

»In der Gebühr von 281,43 Euro sind die Kosten für das Fahrzeug, Personal und Material enthalten«, erklärte Jens-Peter Wilke, Sprecher der Berliner Feuerwehr gegenüber »nd«. Die Vorwürfe der Kassen, die Kalkulation der Gebühren sei »intransparent«, wies die Feuerwehr zurück. »Wir haben die Kosten schon mehrfach sachgerecht dargelegt. Das hat uns das Gericht erst am 22. Mai dieses Jahres bestätigt«, so Wilke. Die Feuerwehr sei eine Landesbehörde und kein auf Profit ausgerichtetes Privatunternehmen. Billiger könne es nicht werden. »Den Gefallen können wir den Kassen nicht tun.« Im Gegenteil, durch den bürokratischen Mehraufwand könne es längerfristig zu einer Anhebung der Gebühren kommen, die seit 2004 nicht erhöht wurden.

Die Kündigung der Vereinbarung stößt derweil auf breite Kritik. »Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen möglicherweise darauf verzichten, den Rettungsdienst zu holen, nur weil sie befürchten, die damit verbundenen Kosten nicht aufbringen zu können«, monierte der Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Udo Wolf. Die Rettungseinsätze der Feuerwehr seien staatliche Aufgaben. Es könne nicht sein, dass aufgrund einiger weniger Fehlalarme nun alle Betroffenen in ein kompliziertes Abrechnungssystem gestürzt werden, so Wolf. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der Piraten, Simon Kowalewski kritisierte die Belastungen, die die Berliner wegen des Kostenstreits tragen müssten: »Eine Rechnung von knapp 300 Euro vorzustrecken, kann das Budget von Geringverdiener-Haushalten überfordern.«

Die Krankenkassen hingegen sehen sich im Recht. Für sie bleiben die Gebühren »ohne nachvollziehbare Grundlage«. Überprüfungsmöglichkeiten seien daher nötig. Obwohl alle Parteien auf ihrem Recht beharren, haben immerhin alle Beteiligten signalisiert, sie seien zu weiteren Gesprächen bereit. Die Senatsinnenverwaltung und der Senat für Gesundheit betonten, dass sie sich eine Rückkehr zur »bewährten Regelung« wünschen. Die Kassen plädieren für eine »schnelle Übergangslösung«, bis die unterschiedlichen Auffassungen geklärt seien. Wann es wieder zu Verhandlungen kommt, wusste noch niemand. Der Senat für Inneres lasse sich Zeit, so die Krankenkassen. »Wir stellen uns erst einmal darauf ein, ab 1. Juli Rechnungen zu schreiben. Wir hoffen aber auf ein Einlenken der Krankenkassen«, sagte Jens-Peter Wilke von der Berliner Feuerwehr.

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