Mein Name ist Ulbig, wir wussten von nichts

NSU: Sachsen schiebt die Verantwortung für Versäumnisse an Thüringen ab

  • Michael Bartsch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Mit dem Bericht zum rechten »Nationalsozialistischen Untergrund« stellt sich das sächsische Innenministerium selbst einen Persilschein aus.

Der Abschlussbericht des sächsischen Innenministeriums zur rechten NSU-Terrorzelle ließe sich knapp mit Wilhelm Busch zusammenfassen: »So kommt es denn zum Schluss heraus, dass wir ein ganz famoses Haus!« Bei Innenminister Markus Ulbig klang es in der Journalistenrunde am Mittwoch so: »Es wurde von keiner Stelle festgestellt, dass wir Maßnahmen unterlassen haben, die zum Erfolg hätten führen können.« Der Schwarze Peter landet einmal mehr in Thüringen, das nach dem Untertauchen des Trios Anfang 1998 ja tatsächlich als zuständige Zielfahndungsbehörde federführend war.

Selbstkritik in einem Satz

An Mitverantwortung oder gar Aufklärung hatte da Sachsen nur ein »kleinstes Stück« beizutragen, so Ulbig. Schon quantitativ nehmen sich die 23 sächsischen Berichtsseiten gegen die 266 der Thüringer »Schäfer-Kommission« dürftig aus. Auf den wesentlichen Unterschied zwischen beiden Berichten aber wies der Grünen-Landtagsabgeordnete Miro Jennerjahn hin: Hier stellt sich die Staatsregierung selbst einen Persilschein aus, während dem ehemaligen Bundesrichter Gerhard Schäfer und seinen beiden wichtigsten Mitarbeitern weitgehende Unabhängigkeit unterstellt werden darf. »Fehler sollten nicht von den Behörden untersucht werden, die sie gemacht haben«, kritisiert Jennerjahn.

Aber Sachsen hat ja fast keine Fehler gemacht, glaubt man dem Regierungsbericht. Das eingeräumte fehlende Gesamtlagebild und die mangelhafte Koordination von Maßnahmen erscheinen wiederum als ein Thüringer Versäumnis. Die Sachsen wussten angeblich nur, was ihnen die Thüringer sagten. Und wenn sie etwas wussten? Hier findet sich der einzige selbstkritische Satz des Berichts. »Allerdings sind auch diese Teilerkenntnisse im Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen nicht mit der gebotenen Systematik ausgewertet worden«, heißt es speziell über das erste Halbjahr 1998. Die im Detail aufgelisteten Observationen in Chemnitz und andere polizeiliche Beobachtungen der Jahre 1998 bis 2000 blieben ohne Erfolg. Danach schlief die Fahndung sozusagen ein.

Hier zeigte sich auch die CDU-FDP-Mehrheit in der fünfköpfigen Verfassungsschutz-Kontrollkommission des Landtages kritischer. In ihrem Bericht, dessen Forderungen Bestandteil des Innenminister-Papiers sind, werden Analyse-Defizite und strukturelle Kommunikationsprobleme beim sächsischen Verfassungsschutz weit deutlicher benannt. Erst recht im Minderheitenvotum der beiden LINKEN-Abgeordneten Kerstin Köditz und André Hahn. Sie wiesen unter anderem auf den verfehlten strategischen Ansatz im Landesamt hin, der auf der Extremismustheorie mit ihrer Gleichsetzung der rechten und linken Ränder beruhe.

Bei so viel regierungsamtlicher Selbstzufriedenheit fragt man sich, wie dennoch 14 Punkte unter der Rubrik »Konsequenzen« zustande kommen. Beim näheren Hinsehen entpuppen sie sich aber meist als Mitarbeit in Bundesvorhaben, so etwa beim Gemeinsamen Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus oder der Gemeinsamen Verbunddatei. Auch die sechs Zeilen, die einem Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus gewidmet sind, meinen die Bundesebene. Nicht neu, aber sächsisch ist die bereits im April eingerichtete Informations- und Analysestelle von Landeskriminalamt und Verfassungsschutz. Sachsen will nun auch das Internet verstärkt beobachten, Waffenbesitz überprüfen, ebenso kriminelle Altfälle auf ihren möglichen Terrorzusammenhang.

Viele offene Fragen

»Nichts Neues«, resümiert Kerstin Köditz und nennt den Bericht einen »Versuch der Vernebelung«. Von einem »Dokument der Peinlichkeit«, das mit Analyse nichts zu tun habe, spricht der Grüne Jennerjahn. Die meisten Fragen bleiben offen. Warum wurde in Sachsen, wo die meisten Raubüberfälle stattfanden, kein Zusammenhang zwischen diesen und der Mordserie an Kleinunternehmern gesehen? »Wir suchten anfangs nach Bombenbastlern«, erklärt Sachsens Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos den damaligen Fahndungshorizont. Warum konnten die Täter elf Jahre unbehelligt in Sachsen leben? Der Untersuchungsausschuss des Landtages erweise umso mehr seine Berechtigung, schlussfolgerte die SPD-Abgeordnete Sabine Friedel.

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