Lügen mit der Freiheit

Das Junge Schauspiel Hannover seziert einen der zentralen Mythen dieser Gesellschaft

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.
Im widerspenstigen Wendland fand dieser Tage ein Theaterstück seine Uraufführung, das als eine Fortsetzung der Ideen der Republik Freies Wendland gelten kann. An dem Mix aus gesprochenem und gesungenem Wort hätten Brecht und Weill wohl ihre Freude gehabt.

Macht Freiheit wirklich frei? Oder ist der Mensch, wie Sartre postuliert, zur Freiheit verurteilt? Solche Fragen haben das Junge Schauspiel Hannover und die Band »Rainer von Vielen« zumindest partiell vom Kopf auf die Füße gestellt: in ihrem Stück »Mythen der Freiheit«, das jetzt seine Uraufführung im Wendland erlebte.

Die Nähe des Ensembles zu Lüchow-Dannenberg entstand im Jahr 2010, als die Schauspieler in Hannover ein »Revival« des 1980 von der Polizei platt gemachten Protest-Hüttendorfs »Freie Republik Wendland« darboten. Die Theateraktion sorgte auch durch Nebenschauplätze für Schlagzeilen: Während des Revivals bombardierte ein Unbekannter den Chef der Bundestagsgrünen, Jürgen Trittin, mit einer Joghurttorte, und die CDU polterte gegen das Stück, weil ihr offenbar dessen atomkritische Aussage missfiel.

Unter dem Deckmantel

An einer Fortsetzung der Ideen der Republik Freies Wendland wolle das Theater arbeiten, erklärte Regisseur Florian Fiedler - und an einer grundsätzlichen Neuordnung der Gesellschaft. Und so folgt in den »Mythen« eine provokante Fragestellung der anderen.

Auf den Prüfstand kommen in der Aufführung gesellschaftliche Normen, politische Vorgaben, wirtschaftliche Verhältnisse und manches Gewohnte mehr. Was alles geschieht unter dem Deckmantel der Freiheit, »die zur Lüge, zum Mythos verkommen ist«? Der globalisierte Freihandel, der Hunger in armen Ländern, die Abschaffung der Bürgerrechte und des Kündigungsschutzes?

Wird der Mensch von der Freiheit überfordert? Ja, befindet das Ensemble und nimmt das Publikum mit in die »Kirche der Antifreiheit«. In ihr wecken die Akteure Gedanken an verantwortungsvollen Umgang mit Freiheit, und sie nutzen dazu allerlei Attacken wider die Freiheit. In sektiererischer Manier gepredigt wird - stets mit dem Ziel einer wahrhaft freien, eben neuen Gesellschaft - das »Wir wollen unfrei sein« vom »Antifreist«, im Namen nachempfunden dem Antichrist, der biblischen Verkörperung des Unheils am Weltende. Anlehnungen an Religiöses sind mehrfach in den »Mythen« zu finden, selbst Gebote fehlen nicht : »Du sollst kein Geld haben« wird da etwa gefordert und »Du sollst nur arbeiten, wenn du es willst«. Die Weisungen »Du sollst nicht gehorchen« und »Du sollst nur deine eigenen Energien verschwenden« werden im Wendland gut angekommen sein - ebenso wie die Aufforderung »Empört euch - denn diese Welt gehört euch«. Bei allem Appellativen, bei allem Ernst der Thematik heben die Schauspieler und Sänger nie penetrant den moralischen Zeigefinger. Sie bringen das, was sie vermitteln wollen, unterhaltsam, nicht selten erheiternd ins Publikum, binden dies immer wieder ein ins Geschehen: ins Singen, Tanzen und Agieren, so dass zeitweilig auch die voll besetzte Saalscheune am »Herrenhaus« im Dorf Salderatzen zur Bühne wird.

Tanz der Revolution

Der Mix aus gesprochenem und gesungenem Wort wird zu einem Ganzen, an dem Brecht und Weill wohl ihre Freude gehabt hätten. Die Freude des Publikums im Saal hielt auch nach der Aufführung an, als viele der Aufforderung des Bandleaders Rainer von Vielen folgten: »Tanzt eure Revolution«.

In den regulären Spielplan kommt das neue Stück des Jungen Schauspiels (www.schauspielhannover.de) nach den ersten Aufführungen in Hannover: am 28. und 29. September jeweils um 19.30 Uhr im Theater »Ballhof«.

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