Neue Stellen bei Lohnverzicht

Vor allem für ältere Ex-Schlecker-Beschäftigte sind die Chancen auf einen neuen Job schlecht

  • Gesa von Leesen, Stuttgart
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Arbeitsagenturen hatten angesichts der vielen arbeitslosen Schlecker-Verkäuferinnen zunächst verkündet, es sei kein großes Problem, diese zu vermitteln. Mittlerweile stellt sich die Situation anders dar.

Die entlassenen Schlecker-Beschäftigten halten die Gewerkschaft ver.di weiter in Atem. Insgesamt etwa 25 000 Frauen und Männer haben bei dem Drogerie-Discounter gearbeitet, der nach seiner Pleite von Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz abgewickelt wurde. Bei ver.di bastelt man mit diversen Landesregierungen an möglichen Alternativen wie Genossenschaften und Dorfläden. Für Härtefälle wurde gemeinsam mit der Paul-Schobel-Caritas-Stiftung »Arbeit und Solidarität« ein bundesweiter Stiftungsfonds »Schlecker-Frauen« eingerichtet.

In zwei Wellen hatte der Ulmer Insolvenzverwalter Geiwitz den Schlecker-Leuten gekündigt: zunächst 10 000 zu Ende Juni, dann den übrigen knapp 15 000. Von der ersten Welle ist laut dem baden-württembergischen ver.di-Sprecher Andreas Henke etwa ein Drittel in neue Arbeit vermittelt. Henke: »Das heißt: Wir wissen nicht, ob die Kolleginnen neue Jobs haben, wir wissen nur, dass die aus der Statistik raus sind.« Für die Betroffenen der zweiten Welle sieht er schlechtere Chancen. Denn: »In der ersten waren diejenigen mit weniger Sozialpunkten, also tendenziell Jüngere. Welche Arbeitsmöglichkeiten es für die Älteren gibt, von denen viele keine abgeschlossene Berufsausbildung haben? Ich bin da skeptisch.« Henke prophezeit: »Von den 25 000 sehe ich für 20 000 eher nix.«

Nein, das könne man so nicht sehen, meint Danuta Fehrenbach-Okroy, Geschäftsführerin der Arbeitsagentur Reutlingen-Tübingen. Zwar komme es auf den Arbeitsmarkt an, aber auch »auf die einzelne Person«. Ihre Agentur betreue aktuell etwa 100 Ex-Schlecker-Beschäftigte. Aus der ersten Entlassungswelle landeten hier 50, von ihnen habe man 40 Prozent vermittelt. »Alle in sozialversicherungspflichtige Jobs«, betont die Chefin. Die Frauen würden nun bei Netto arbeiten, als Bäckereiverkäuferin, Kantinenhilfe, Zuschneiderin und Reinigungskraft. Ob sie wieder auf ihr altes Gehalt kommen - bei Schlecker wurde mit etwa 12 Euro pro Stunde zuletzt Tarif gezahlt - weiß Fehrenbach-Okroy nicht. Der Äußerung ihrer Kollegin Eva Strobel, Leiterin der baden-württembergischen Regionalagentur, der hohe Tariflohn sei ein Vermittlungshindernis, möchte sie sich aber nicht anschließen. »Wir fragen die Damen von Schlecker, was sie erwarten und da muss ich sagen: Es kommen sehr realistische Einschätzungen. Sie gehen von alleine davon aus, dass sie bis zu 20 Prozent weniger verdienen.«

Ob dieser vorauseilende Verzicht tatsächlich von ganz alleine kommt, mag der für das Gebiet zuständige ver.di-Geschäftsführer Martin Groß nicht bestätigen: »Aus Gesprächen wissen wir, dass die Frauen sich von der Arbeitsagentur oft gedrängt fühlen, ihre Einkommensvorstellungen zu reduzieren. Da wird subtil Druck gemacht.« Dass die Agentur sich aber bemühe, die Schlecker-Frauen zu vermitteln, sei zu merken, so Groß.

Besondere Bemühungen kann Olga Papadopulo bei den Beratern in der Arbeitsagentur nicht erkennen. Die Schlecker-Betriebsratsvorsitzende für Stuttgart und Esslingen hört von ihren früheren Kolleginnen »nichts Positives«. Die 51-Jährige, die als Betriebsratschefin noch bis Ende Juli arbeitet, war selbst auch schon auf dem Arbeitsamt. »Ich habe denen gesagt, dass ich gerne wieder im Verkauf arbeiten würde, aber auch offen für anderes bin. Klar ist aber: Die Arbeit muss fair sein. Ich habe nicht jahrelang für Tarife bei Schlecker gekämpft, um mich jetzt ausbeuten zu lassen.«

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