Schlafwandlerisch

Die Galerie Camera Work präsentiert eine große Einzelausstellung des Fotografen Ralph Gibson

  • Judith Rakowski
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwei mit Kastanien bestandene Hinterhöfe muss man durchqueren, dann steht man vor der hellen, schlichten Fassade der Galerie Camera Work in Charlottenburg. Im Eingangsbereich hängen Fotografien von Russel James und Douglas Kirkland. Seit dem 16. Juni bieten die hohen, weiten Räume nun auch den Werken von Ralph Gibson Ausstellungsplatz.

Die Einzelausstellung umfasst mehr als 80 Fotografien aus über 60 Jahren. Damit ermöglicht sie einen umfassenden Einblick in das Gesamtwerk des amerikanischen Künstlers. Mit 73 Jahren gilt Ralph Gibson heute als einer der »renommiertesten künstlerischen Fotografen in Europa und den USA«, so Alexander Golya, Mitarbeiter und Pressesprecher von Camera Work.

Die Werke sind in chronologischer Reihenfolge ausgestellt, alles reine Schwarz-Weiß-Fotografien. Die frühsten Arbeiten stammen aus der Mitte der 50er Jahre. Schon hier sind die Bildausschnitte häufig so gewählt, dass sie nur einen Teil der Person oder des Gegenstandes zeigen und den Betrachter damit neugierig machen.

Bekannt wurde Gibson mit seiner Serie »The Somnambulist« - der Schafwandler - Ende der 60er Jahre. Damals war der Markt für rein künstlerische Fotografien kaum entwickelt. Weil kein Verlag die Bilder drucken wollte, gründeten Gibson und andere befreundete Fotografen kurzerhand ihren eigenen Verlag Lustrum Press. »Mit regelrechtem Guerilla-Marketing wurde der Fotoband zu einem der gefragtesten der Welt«, schmunzelt Alexander Golya.

Einige Werke der Serie »The Somnambulist« sind nun auch hier zu sehen. Mystisch und surreal wirken sie, einige lösen Beklemmung aus, nie sind sie eindeutig. Der Betrachter soll sich mit dem Abgebildeten und der Wirkung auseinandersetzen, um dem Phänomen des Schlafwandelns näher zu kommen, das bis heute noch viele Fragen aufwirft. Eine der bekanntesten Fotografien der Reihe zeigt eine solarisierte Hand im Spalt einer offenen Tür. Sie dient auch als Cover eines Albums von der Band Joy Division.

Im nächsten Raum befinden sich vorrangig Werke aus den 70er und 80er Jahren. Darunter Werke der Serien »Days at Sea« - Tage an der See - und »Déjà-Vu«. Der Kontrast von Schwarz und Weiß ist hier noch schärfer, wodurch die Arbeiten besonders ästhetisch erscheinen. Einige Fotografien sind bewusst in Paaren oder kleinen Gruppen ausgestellt - genauso wie auch in den Bildbänden. Zu sehen sind Motive, die einander ähneln oder in der gleichen Situation entstanden zu sein scheinen. Bei genauerem Betrachten fällt allerdings auf, dass das nicht stimmen kann. Viele Besucher gingen vorbei und sagten »Klar, das ist derselbe Mann«, erzählt Golya. Ralph Gibson hat die Kombinationen selbst vorgegeben, die Zugehörigkeit suggerieren. »Der Betrachter wird herausgefordert, muss aufmerksam sein, um zu erkennen.«

Schon seit etwa 25 Jahren gehören Aktfotografien in das Repertoire von Gibson. Charakteristisch sind die naturgetreue Wiedergabe, deutliche Formverehrung des weiblichen Körpers und subtile Erotik. Gerade in den letzten Jahren hat er sich diesem Bereich verstärkt gewidmet. Das Außergewöhnliche an seinen Akten ist, dass sie zumeist einen Teil des Körpers fokussieren, herausarbeiten und betonen. »Strahlendes Weiß neben tiefem Schwarz, einige wenige Linien - schön«, schwärmt Golya, vor allem, weil man selbst einige der Stellen kaum wahrnehmen würde.

Die limitierten Silbergelatine-Prints stehen zum Verkauf, die Preise liegen bei mehren tausend Euro. Da Ralph Gibson bis heute analog fotografiert, sind die Werke unbearbeitet. »Der Fotograf muss immer handwerklich tätig sein, denn er muss mit der Realität arbeiten.« Bei Camera Work möchte man das Verständnis für die Fotografie als eigene Kunstform schärfen.

Bis 4. August, Camera Work, Kantstraße 149

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