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Spanier gegen »Selbstmordpolitik«

Über eine Million Menschen protestierten gegen Sparmaßnahmen zur Bankenrettung

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.
Die »Generalmobilisierung« der spanischen Gewerkschaften hat am Donnerstagabend zahllose Menschen auf die Straßen getrieben. In 80 Städten wurde gegen das vierte Spardekret in sechs Monaten protestiert, das die regierende Volkspartei (PP) im Parlament gegen die Stimmen aller Oppositionsparteien verabschiedet hat.

Es war wohl die Ouvertüre zum Protestsommer: In der Hauptstadt Madrid sollen sich laut Gewerkschaften 800 000 Menschen an den Protesten gegen die bisher tiefsten Einschnitte ins Sozialsystem und die Steuererhöhungen beteiligt haben. In der katalanischen Metropole Barcelona sollen es 400 000 gewesen sein und sogar in Palma de Mallorca 50 000.

Blieben die Proteste meist friedlich, kam es in Madrid zu Konfrontationen. Die Polizei löste gegen Mitternacht eine Versammlung, die zum Parlament ziehen wollte, mit Knüppeln und Gummigeschossen auf. Feuerwehrmänner versuchten, die Polizisten zu beruhigen, was ihnen nicht gelang. Sie erinnerten die Spezialtruppen daran, dass auch sie betroffen sind. Einige Demonstranten bewarfen die Polizei mit Flaschen und Steinen und einige Mülltonnen wurden als Barrikaden benutzt und abgebrannt. 15 Personen wurden festgenommen und etwa 40 verletzt.

Die großen Arbeiterkommissionen (CCOO) und die Arbeiterunion (UGT) sprechen von einem großen Erfolg und kündigten der Regierung unter Mariano Rajoy einen heißen Sommer an, falls die Regierung nicht einlenkt und die »Selbstmordpolitik« beendet. Auf einem großen »Sozialgipfel« werde das Vorgehen noch im Juli mit Wohlfahrtsverbänden, sozialen Organisationen und Initiativen abgestimmt.

CCOO-Chef Ignacio Fernández Toxo sagte, die Regierung werde es mit der »breiten Mobilisierung der Bevölkerung« zu tun haben. Man wolle ein Referendum, in dem die Bürger selbst über Sparprogramme und Bankenrettung abstimmen. Die Konservativen hätten die Wähler betrogen und vor den Wahlen versprochen, keine Banken mit Steuergeldern zu retten, keine Steuern zu erhöhen und keine Gehälter zu kürzen. Doch ihre Maßnahmen, wie die Anhebung der Mehrwertsteuer, »treffen die gesamte Bevölkerung, um einer kleinen Elite zu dienen«.

Toxo fügte an, dass für die 100 Milliarden Euro zur Bankenrettung erneut zahllose Arbeitsplätze vernichtet würden. Er sprach von einer »Aggression gegen Arbeitslose, Beamte, Selbstständige und allgemein gegen die Mittelschicht des Landes, die verarmt«. Mit Blick auf die Zinsen für Staatsanleihen wies er darauf hin, dass nicht einmal die Finanzmärkte beruhigt würden. Denn am Donnerstag musste Spanien erneut Rekordzinsen für Staatsanleihen bezahlen, obwohl das Sparpaket verabschiedet wurde. Allen sei längst klar, dass diese Programme nur tiefer in die Rezession führten, womit sich die Probleme und die Löcher in den Bilanzen von Banken nur vergrößerten, weil immer neue Kredite ausfallen.

Von einem Generalstreik wurde noch nicht gesprochen. Den haben die baskischen Gewerkschaften schon für den 26. September ausgerufen. Doch auch die Basis von CCOO und UGT drängen auf massiven Widerstand. Da niemand erwartet, dass die Regierung einlenkt, dürfte an diesem Tag in ganz Spanien gestreikt werden. Für Txiki Muñoz, Chef der großen baskischen Gewerkschaft ELA, geht es darum, »die Lügen zu entlarven, die das kapitalistische System vorbringt, um die Einschnitte zu rechtfertigen«. Den Basken geht es darum, die Angriffe zu stoppen und Alternativen zu diesem System aufzuzeigen.

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