In Unterhose, aber Oberwasser

»Böse Buben/Fiese Männer« von Ulrich Seidl an Münchens Kammerspielen

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.
Unterirdischer Stumpfraum
Unterirdischer Stumpfraum

Der Fitnesstrainer hat nur einen Arm. Ist das ein souveräner Sieg über die eigene Behinderung? Oder eine Steigerung jener Hilflosigkeit, mit der ein Mensch genau das tut, was ihm nicht gemäß ist? Der Fitnesstrainer (Lars Rudolph zwischen sadistischem Militär und grollendem Hausmeister) befehligt eine Gruppe von sechs Männern, er trillerpfeift sie in den Liegestütz, sie spielen »Stille Post«, sie singen Lieder (»Kein schöner Land«), und wo sie über sich selbst reden, da offenbart sich der Ort ihrer Geständnisse als ideal: Es ist ein Keller, ein Bunker, ein unterirdischer Stumpfraum, mit Verteilerkasten, Portiersloge, Stahltür, Rohren, kaltem, flackerndem Neon. Hier stehen sie in Unterhose und haben Oberwasser: »Böse Buben/Fiese Männer«.

Der österreichische Filmregisseur Ulrich Seidl inszenierte das Stück für die Wiener Festwochen, jetzt hatte es Premiere an den Münchner Kammerspielen (Bühne: Duri Bischoff). Es ist Rampentheater, das dem Zuschauer auf den Leib rückt - fast schien es bei der Wiener Präsentation im kleinen Theater »Akzent«, die Bedrängung würde bewusst an jene Grenze getrieben, da einige Besucher schlichtweg nicht anders können, als zu fliehen. Auf den ersten Blick erinnert die Mach- und Melodienart an Christoph Marthalers Abende der Langsamkeit, der Melancholie. Die Gruppenklebrigkeit, das preschende Solo. Aber wo bei dem Schweizer seelische Absurdität aufgefangen wird von unerschütterlicher Zuneigung zu verlorenen, vergeblichen Wesen - dort reißt Ulrich Seidl erbarmungslos die Grenze nieder, die noch das Schlimmste als Formung der Kunst erkennen lässt. Seidls Schauspieler, Seidls Filme und jetzt auch sein zweites Theaterprojekt peinigen, sie erzeugen im Hinsehenden ein peinliches Gefühl. Zuschauen als Zeugenschaft - bei etwas, das doch vielleicht lieber in ungeschaut bleibenden Tiefen sich ausleben sollte?

Nach David Foster Wallace' »Kurzen Interview mit fiesen Männern« bietet Seidl ein pathologisches Panorama aggressiver, einsamer, verklemmter Triebhaftigkeit. Psychosexuelle Defekte beim Kellerfreigang. Kondome platzen, Hosen fallen, Bier tropft. Frauen sind Unterlagen, Liebe ist eine Luftblase, das Begehren aber verbindet Lefzen und Lenden. René Rupniks Monolog ist proletischer Porno-Geist als Rap. Michael Thomas ist zu One-Night-Stands verdammt - welche Frau erträgt länger, dass er in orgiastischer Sekunde stets »Sieg der Sozialistischen Partei Österreichs« brüllt? Nabil Saleh prahlt mit seinen Steher-Qualitäten, der Ausländer als Hahn im landeseigenen Hühnerstall? Da sind sich die anderen schnell einig: zack, Plastesack, weg den Kerl! Wolfgang Pregler verbindet auf extrem fiese Art Holocaust-Überleben und moderne Missbrauchspraktiken. Georg Friedrich, mit seiner frostigen Schleimstimme einer der besten, weil bösesten Spieler in Seidls Filmen, besticht auch hier durch die fast zarte Weise, mit der ein Grat zur offenen Perversion übertanzt wird.

Die zweieinhalb Stunden sind Zumutung und grotesker Spaß zugleich. Der Teufel Seele hockt in dieser Tiefgarage der Verkommenheiten und stellt gleichsam lauter Spiegel auf, die ins Publikum blenden. Ulrich Seidl legt etwas offen, das am Ende aufatmen lässt - darüber, dass wir über die Kultur der verlässlichen Lüge verfügen, über die Lüge einer verlässlichen Kultur: öffentlich so zu sein, wie wir gern wären. Wenn es in uns nicht den Dämon gäbe.

Vorstellungen wieder in der nächsten Spielzeit

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