Räder auf Sternfahrt gegen Beton

Tour de Natur machte in Berlin Station

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.

Sonnabend, später Nachmittag am Schlesischen Tor in Kreuzberg. Das übliche sommerwochenendliche Gewusel von nach der Partynacht gerade wieder so hergestellten jugendlichen Touristen und den älteren Berlin-Besuchern, die sich mit Stadtplan und Reiseführer die Stadt zu erschließen versuchen. Dazu noch die Anwohner, die den unkontrolliert stehenbleibenden Gästen versuchen, bestmöglich auszuweichen. Und außerdem eine Menge Autos.

Kurz nach 17 Uhr versiegt der Automobilstrom, Motorradpolizisten sperren die Kreuzung. Schließlich biegt ein Pulk wild klingelnder Fahrradfahrer um die Ecke. Die »Tour de Natur«, eine seit 1991 stattfindende Fahrradfernfahrt durch die Republik ist an ihrer Kreuzberger Station angekommen. Rennräder, Liege- und Lastenfahrräder, zum Teil schwer bepackt mit Campinguntensilien, werden auf einer kleinen Wiese direkt am Verkehrsknotenpunkt abgestellt. Mineralwasser steht als Willkommensgruß für die meist älteren Politradler bereit, deren heutige Etappe in Falkensee begann.

Dort wurde gegen die geplante Nordumfahrung protestiert, hier geht es gegen die Verlängerung der Stadtautobahn A 100 zunächst bis zum Treptower Park. Harald Moritz von der »Bürgerinitiative Stadtring Süd« (BISS) berichtet vom bald 20-jährigen Kampf gegen die Autobahnplanung. »Die Vorarbeiten konnten wir gerade beim Bundesverwaltungsgericht stoppen«, sagt er. Moritz hat die Hoffnung, dass der Bau noch zu verhindern ist, nicht aufgegeben: »Die Gelder - nach aktuellem Stand 475 Millionen Euro für 3,2 Kilometer - sind im Bundesverkehrswegeplan noch nicht freigegeben.

Nun spricht Jutta Mattuschek, die für die LINKE im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt: »Es ist politisch absurd, dass der Senat weiter an der Planung festhält, obwohl mit der LINKEN, den Grünen, den Piraten und Teilen der SPD in der Berliner Volksvertretung eine Mehrheit gegen die Autobahn ist.« Sie habe die Hoffnung, dass mit möglichen Wahlkampfgeschenken kurz vor der Bundestagswahl eher Bayern oder Hessen beglückt werden, als das kleine Berlin.

Mit Blockflöte und Gitarre stimmen die Teilnehmer nun ein selbst gedichtetes Lied gegen Autobahnen an. Das wirkt etwas aus der Zeit gefallen. »Halb Kreuzberg hätte für die früheren Autobahnplanungen abgerissen werden sollen«, erinnert Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) im Anschluss. Statt in Autobahnen müsse das Geld in verbesserten Fahrrad-, Fußgänger und öffentlichen Personennahverkehr investiert werden. »Der Autobahnbau verspielt die Zukunft einer guten Verkehrspolitik«, sagt Schulz.

Derweil erholt sich auf einer Bank Moritz Welz von der Tour aus Falkensee. Zum fünften Mal nimmt der 53-Jährige teil. Der Weddinger ist seit Beginn der diesjährigen Fahrt in Halle dabei und wird bis zum Endpunkt in Greifswald mitradeln. »Ich kann dabei alles verbinden, was mir gefällt. Die Liebe zur Natur, gleichzeitig den Einsatz für ihren Schutz und das alles in einer tollen Gemeinschaft«, sagt er. Dann setzt sich die bunte Fahrradkolonne wieder in Bewegung. Das Berliner Nachtquartier in der Lichtenberger Kiezspinne muss noch erreicht werden. Heute soll im brandenburgischen Eberswalde gegen die geplante Uckermarkstromtrasse demonstriert werden.

www.tourdenatur.net

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