Erotisches Jagdkollektiv

Mozarts »Don Giovanni« in Stuttgart

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.

Premiere als stuttgartoffenes Public-Viewing-Happening mit Fernsehpräsenz. Während im Opernhaus Andrea Moses’ Inszenierung von Mozarts »Don Giovanni« über die Bühne ging, gab Harald Schmidt getreu barocker Operntradition den Pausen-Buffone. So penetrant wie Don Giovanni gegenüber den Frauen, ging er mit der hochinteressanten Frage, wie man es denn fände, in einer lauen Sommernacht und bequem ums Picknick-Körbchen gelagert auch noch zum Nulltarif eine nette Oper serviert zu bekommen, skurrilen Typen nach.

Auf der Bühne nichts von lauer Sommernacht. Ein unbestimmbar ungemütliches Kunstlicht strahlt aus einem Konstrukt, das ein Schiff oder ein Hotel sein kann, eine Stadtvilla mit Bar im Erdgeschoss oder ein Appartement in einem besseren Feriendorf. Auf der Drehscheibe platziert, ragt es entweder schlank in die Tiefe des Raums oder breitet sich als Totale aus. Christian Wiehle hat viel Raum für Einsamkeit oder deren Steigerungsform, die flaue Zufallsgeselligkeit, geschaffen und Andrea Moses teilt ihren Figuren reichlich davon zu.

Don Giovanni ist Besitzer der Immobilie; der Komtur mit Tochter und Schwiegersohn in spe logieren als Hausgäste im Obergeschoss. Dort ist auch für Elvira ein Zimmer frei. Leporello macht die Bar und sorgt sogleich dafür, dass Ottavio eine Weile außer Gefecht gesetzt wird. Seine wenig enthusiastische Verlobte Anna freut es. Sie geht schon mal vor, und Giovanni folgt ihr ins Zimmer. Seine Visitenkarte kriegt sie hinterher aber nicht, und damit nehmen die bekannten Probleme ihren Lauf.

Die Regisseurin hat ihre Figuren auf eine Irrfahrt durch die Milieus der Vorabendserien geschickt. Anna und Ottavio deklinieren den sexuellen Frust der gehobenen Mittelschicht durch, Elvira braucht dringend einen Mann oder einen Selbsterfahrungskurs, und Zerlina und Masetto üben schon mal am Grill fürs gemeinsame Campen. In seltenen Momenten aber sind sie alle von einer Leere umgeben wie die erwartungslos Wartenden aus der gemalten Welt Edward Hoppers. Giovanni spielt nicht nur, wenn er sich nach seinem ebenso erotisierenden wie erfolglosen Ständchen die Pistole an die Schläfe hält. Im Finale wird er sich tatsächlich erschießen, bevor Masettos Baseball-Schläger an ihn herankommen.

Bis es dahin kommt, bietet das sexualistische Jagdkollektiv allerdings jede Menge witziger Situationen. Andrea Moses hat dafür gesorgt, dass man über Mozarts und da Pontes Figuren lacht, ohne sie auszulachen; eher fühlt man sich selbst komisch ertappt und im Opernpersonal gespiegelt. Die Pärchen draußen unter dem Abendhimmel vor der Großleinwand küssen sich, wenn Zerlina drinnen auf der Bühne ihre speziellen Heilmittel an Masetto ausprobiert.

Warum allerdings Philosophen über den männlichen Archetyp Don Giovanni Bücher geschrieben haben, warum Dichter dieses Werk die »Oper der Opern« nannten, warum Mozart und Lorenzo da Ponte Tote auferstehen ließen und selbst die Hölle gegen Don Giovanni aufboten - das erschließt sich in dieser überwiegend sommerspaßigen Inszenierung kaum. Am Schluss ist alles erzählt, der Vorhang zu und keine Frage offen. Große Leistung der Sänger-Darsteller, akkurate und fantasievolle Detailarbeit der Regisseurin, der man in diesem Punkt ihre Herkunft vom Schauspiel unbarmherzig ansieht. Den Zuschauern indes hat sie zuviel Arbeit abgenommen. Selbst der Komtur, der den anfänglichen Anschlag überraschend überlebte und von Leporello als Giovanni-Schreck für das Finale heimlich auf sein Grab-Postament geleitet wird, legt sich am Schluss ins Bett und stirbt doch noch, ganz brav.

Für die durchweg jugendliche Sängerbesetzung hatte das Haus eine sehr glückliche Hand. Simone Schneider, Donna Anna, durchleuchtete trotz überzeugender Stimmfülle und gut platzierter Schlagkraft das komplizierte Geflecht der Koloraturen mit glasklarer Helligkeit. Don Ottavio, Atalla Ayan, versteckte die Unsicherheiten der Figur hinter makellos geführten Kantilenen; Rebecca von Lipinsky behauptete sich energiegeladen leidend als Donna Elvira; die Südafrikanerin Pumeza Matshikiza ließ als Zerlina nicht mal im berühmten Duett mit Giovanni kleinstes Seelenzittern in ihre schöne dunkle Stimme hinein.

Ronan Collett, Typ Wayne Rooney, ist ein Masetto der sich durchaus gegen Don Giovanni zu behaupten vermag. In jeder Hinsicht beweglicher und routinierter der überlegen singende André Morsch als Leporello. Nur Don Giovanni selbst, Shigeo Ishino, verschwand trotz gut sitzender, manchmal bezwingender Stimme fast hinter üppigen Pelz seines Kostüms; kein Siegertyp, eher ein halbseidener Steuerhinterzieher.

Anthony Hermus, der Andrea Moses’ Arbeiten bereits aus Dessau kennt, dirigierte. Eine stark überarbeitete Übernahme von Andrea Moses’ Bremer Inszenierung. Dass die Ouvertüre wenig dämonisch geriet, kann man bemängeln, jedoch fand der gewählte leichtere Ton seine Rechtfertigung in der Anlage des Figurenensembles. Auch den weiteren Verlauf bestimmten spritzige Tempi, luftige Akzente, eine weitgehende Abwesenheit von Dämonie und Gänsehaut-Tönen. Die Sänger trug Antony Hermus fast auf Flügeln durch den Abend.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal