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Walzerfetzen wie Sonnenstrahlen

Das Berliner Jugendorchester-Festival Young Euro Classic blickt auf Europa

  • Antje Rößler
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Hochsommer scheint das altehrwürdige Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt wie verwandelt. Dann mietet sich hier das Festival Young Euro Classic ein, das Jugendorchester verschiedener Länder einlädt.

Das Festival, das noch bis zum 12. August läuft, hat seine Rituale: Am Dirigentenpodest lehnt ein Teddybär als Maskottchen; jedes Konzert beginnt mit einer Bläser-Hymne, die aus der Feder des neuen Konzerthaus-Chefdirigenten Iván Fischer stammt. Und schließlich bringt jedes Orchester ein Stück Musik aus der Heimat mit, das in Deutschland erstaufgeführt wird. Ein eher strapaziöser Brauch sind hingegen die Reden der allabendlich wechselnden Prominenten, die meist von musikalischer Ahnungslosigkeit zeugen.

In diesem Jahr blickt Young Euro Classic zurück auf seine Anfänge, stellte es doch in den ersten Festivaldurchgängen zunächst europäische Jugendorchester vor. Erst nach und nach sorgten Ensembles anderer Kontinente dafür, dass der Festivalname nun nicht mehr ganz passt. Für diesen Sommer aber rief Festival-Leiter Dieter Rexroth den Schwerpunkt Europa aus.

Der Reigen europäischer Orchester wurde am Montag vom Bundesjugendorchester eröffnet, das deutsche Nachwuchsmusiker vereint. Soeben von einer China-Tournee zurückgekehrt, präsentierte es sich in Berlin mit großer Besetzung und einem anspruchsvollen Programm. Mario Venzago führte die jungen Musiker mit minimalistisch präziser Gestik fürsorglich durch den Abend.

In Gustav Mahlers »Totenfeier«, dem späteren Kopfsatz seiner Zweiten Sinfonie, fesselte der markante Trauermarsch der tiefen Streicher den Hörer vom ersten Takt an. Dirigent Venzago ließ die monumentalen, von einer soliden Blechbläserriege angeführten Steigerungswellen durch den Saal rollen, ohne die feine Arbeit am Detail aus den Augen zu verlieren.

Nach diesem aufwühlenden Stück mutete Schumanns schwärmerisches Cellokonzert wie ein Schluck Wasser an - eine unglückliche Programmgestaltung, die auch das kraftvoll energische Spiel des Solisten Nicolas Altstaedt nicht ausgleichen konnte.

Nach der Pause ließ das Bundesjugendorchester die farbenreichen Klänge von Maurice Ravel strömen. In der Suite »Daphnis et Chloé« fehlte es dem durchaus sinnlichen, geschmeidigen Orchesterklang jedoch ein wenig an Leichtigkeit und Esprit. Hier bekamen sich die virtuosen Holzbläser viel Applaus. Eindringlich geriet die zwielichtige Stimmung in »La Valse«, Ravels Abgesang auf die Donaumonarchie. Walzerfetzen leuchteten wie fahle Sonnenstrahlen durch die Wolkenlöcher eines Gewitterhimmels.

Am heutigen Donnerstag tritt bei Young Euro Classic das in Dresden ansässige Moritzburg Festivalorchester mit seinem Leiter, dem Cellisten Jan Vogler, auf; danach kommen Ensembles anderer Länder an die Reihe. Ein rarer Gast hierzulande ist das Nationale Jugendorchester Rumänien, das am 4. August zusammen mit der echo-preisgekrönten Pianistin Mihaela Ursuleasa gastiert. Vom äußersten Rand Europas reist am 8. August das Ural Youth Symphony Orchestra an, das Musikstudenten Jekaterinburgs vereint.

Aufregend dürfte auch beim Auftritt des Armenisch-Türkischen Jugendorchesters am 3. August zugehen. Young Euro Classic hat dieses Ensemble aus türkischen und armenischen Musikern ins Leben gerufen, um ein Zeichen für die Überwindung politischer Spannungen zu setzen. Geleitet wird es von dem türkischen Dirigenten Cem Mansur; der armenische Pianist Ashot Khachatourian ist Solist in Beethovens Drittem Klavierkonzert.

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