nd-aktuell.de / 07.08.2012 / Politik / Seite 10

»Wir wollen das ganze Paradies«

Das Frauenkollektiv Mujeres Creando in Bolivien wehrt sich gegen Rassismus und Machismus

Knut Henkel
Mujeres Creando ist ein 1992 in La Paz gegründetes Frauenkollektiv. Es wehrt sich gegen patriarchale Strukturen und einen Rassismus, der sich vor allem gegen indigene Völker in Bolivien richtet. Die Frauen haben ein Anlaufpunkt in La Paz aufgebaut, wo ein Mittagstisch genauso angeboten wird wie Weiterbildung oder die Teilnahme an einem Radiosender.
»Basta de racismo« – Rassismus hat im Zentrum der Mujeres Creando keinen Platz.
»Basta de racismo« – Rassismus hat im Zentrum der Mujeres Creando keinen Platz.

Virgen de los Deseos, Jungfrau der Wünsche, prangt in geschwungenen Lettern an der rosafarbenen Hauswand in der Straße des 20. Oktober. Es ist 20.30 Uhr und ein gutes Dutzend Frauen sitzt in dem großen Gastraum, der sich auf zwei Ebenen erstreckt und diskutiert. Die Tür ist versperrt, denn die Frauen wollen ihre Ruhe haben, wenn sie sich weiterbilden, diskutieren und neue Kampagnen und Initiativen planen. Die alte Villa, die nur ein paar Steinwürfe von der Umsa, der Universität Mayor de San Andrés, im Zentrum von La Paz entfernt liegt, ist ein Ort, der bei Frauen und Intellektuellen in Bolivien einen guten Ruf genießt.

Hier wird nachgedacht, analysiert und der Regierung von Evo Morales kritisch auf die Finger geschaut. »Unser Haus ist ein offener Ort, wo für die Rechte der Frauen agiert wird und wo Rassismus keinen Platz hat«, erklärt Julieto Ojeda Puma. Sie ist ein halbes Jahr nach der Gründung der Mujeres Creando 1992 zu dem Frauenkollektiv gestoßen. Mujeres Creando, heißt so viel wie Frauen, die erschaffen, und in dem Haus, dass die Frauen nach ihren eigenen Vorstellungen um- und ausgebaut haben, wird jeden Tag etwas erschaffen, erdacht oder organisiert.

In dem in bordeauxrot gestrichenen Gast- und Veranstaltungsraum wird jeden Tag ein Mittagstisch angeboten, der genauso gut frequentiert wird wie das Café am Nachmittag. »Über die Gastronomie haben wir regelmäßige Einnahmen, um andere Angebote zu finanzieren«, erklärt Julieto Ojeda Puma. Dazu gehört die juristische Beratung für Frauen, der Kinderhort, das Radioprojekt oder die unterschiedlichen Angebote für Prostituierte, denen die Mujeres Creando auf unterschiedlicher Ebene Hilfe anbieten.

»In Bolivien werden Prostituierte nicht respektiert. Sie werden auch von der Polizei stigmatisiert und diskriminiert«, erklärt Mayra Rojas Castro. Sie koordiniert die juristische Arbeit und ist auch im Rotlichtmilieu von La Paz unterwegs. Polizisten, die unentgeltlich Dienstleistungen einfordern, gibt es genauso wie die Diskriminierung der Frauen vor Gericht. »Da sind die Frauen bei Sorgerechtsprozessen oft schlechter gestellt«, berichtet Mayra Rojas Castro. Da kommen dann die Anwältinnen der Mujeres Creando ins Spiel und oft ist dann auch psychologische Hilfe gefragt. Den bietet das Haus ebenfalls. Frauen können in der geräumigen Villa auch ihre Kinder abgeben oder vorübergehend unterkommen, denn ein paar Zimmer gibt es auch, die sowohl vermietet als auch hilfsbedürftigen Frauen zur Verfügung gestellt werden.

»Wir sind eine soziale und zutiefst feminine Organisation«, erklärt Julieta Ojeda Puma. Sie sitzt unter dem Bild von María Sebastiana Cari und daneben prangt die Parole »Basta de racismo«, Schluss mit dem Rassismus. Porträts von Frauen und ein paar Parolen schmücken den Raum, von dem man auch Zugang zur Bibliothek, den Arbeitsräumen und zum »Radio Deseo« hat. Studenten von der nahe gelegenen Universität, Dozentinnen, aber auch die Leute aus der Nachbarschaft und einige der Mujeres Creando sind bei dem ausdrücklich pluralen Radioprojekt seit 2007 dabei. Das analysiert die politischen Verhältnisse in Bolivien. »Wir wollen das ganze Paradies«, lautet eine der Parolen der Frauen, die wenig von der Quote halten, die unter Präsident Evo Morales in politischen Ämtern für Frauen ausgelobt wurde. »Paritätisch sollte es zugehen, doch egal ob fünfzig oder dreißig Prozent - die große Herausforderung ist es, an den neoliberalen Strukturen etwas zu ändern«, erklärt Julieta Ojeda und streicht sich eine pechschwarze Haarsträhne aus der Stirn. Mit der radikalen Kritik an den Verhältnissen haben die Frauen, denen Akademikerinnen wie Julieta genauso wie proletarische, indigene, lesbische wie heterosexuelle Frauen angehören, national und auch international für Aufsehen gesorgt.

Die Grundsatzkritik an der Kreditvergabe in Bolivien, die so manche Familie in die Schuldenfalle geführt hat, gehört genauso dazu wie Graffitiaktionen und Performances auf offener Straße, die die Geschlechterverhältnisse in Bolivien und den alltäglichen Rassismus thematisieren. Sichtbarmachen ist dabei Teil des Konzepts, dass die Kunst oft als Transmissionsriemen einsetzt. So hat die Performance, in der zwei Frauen einfach auf einem großen Bett auf einer Kreuzung in La Paz liegen und sich als Liebespaar outen, in Bolivien genauso für Schlagzeilen genauso gesorgt wie die Besetzung des Büros der Bankenregulierung oder die Teilnahme und Unterstützung der Mujeres Creando des Widerstands gegen den Straßenbau mitten durch ein Naturschutzgebiet, Tipnis genannt. Dort engagieren sich die Mujeres Creando derzeit. Zudem wird derzeit am Aufbau eines eigenen Hauses in Boliviens mit 1,6 Millionen Einwohnern größter Stadt, Santa Cruz, gearbeitet. Das Beispiel soll schließlich Schule machen.