Falschfahrt in der DDR

Ein Buch beschreibt, wie die Staatsführung die Modernisierung der Deutschen Reichsbahn versäumte

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 2 Min.

Zum Ende der DDR galt deren Staatsbahn, die wegen der Betriebsrechte in West-Berlin den Namen Deutsche Reichsbahn beibehalten hatte, als museumsreif. Sowohl Gleise als auch Sicherungs- und Nachrichtentechnik schrien förmlich nach Erneuerung; sie entsprachen nie dem Weltstand. Das Buch »Auf dem falschen Gleis« von Ralph Kaschka beschreibt unter anderem, wie es dazu kommen konnte.

Denn die Reichsbahn war immerhin wichtigster Verkehrsträger im Land, sie trug bis zu 75 Prozent des Güterverkehrs und um die 60 Prozent des Reiseverkehrs. Volle Bahnhöfe und Strecken, überfüllte Züge waren ein Zeichen für die Vernachlässigung des Transportunternehmens.

Die Versäumnisse an der In- frastruktur begannen bereits im Zweiten Weltkrieg. Die Zerstörungen und die sich anschließenden Demontagen für die sowjetische Besatzungsmacht bis 1948 betrafen besonders das Gleisnetz, die Sicherungs- und Fernmeldetechnik und den elektrischen Zugbetrieb.

Anschließend wäre die Wiederherstellung zumindest des Vorkriegszustandes, beziehungsweise eine Modernisierung des Verkehrsnetzes nötig gewesen. Das unterblieb. Kaschka benennt in dem broschierten Buch, das auf seine Dissertation zurückgeht, tiefgründig und frei von Polemik, welche Schwerpunkte die Partei- und Staatsführung setzte: Aufbau der Schwerindustrie, das Chemieprogramm, der Mauerbau, die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik«. Mit Ausnahmen wie dem Bau des Berliner Außenrings und dem Wiederaufbau der Strecke Lalendorf - Neustrelitz reichten die von der Planwirtschaft bereitgestellten Mittel weder für die Erhaltung noch Modernisierung der Eisenbahn aus.

Kaschka beschreibt die Folgen, wie das »Sparprogramm« beim Bau der S-Bahn Springpfuhl - Ahrensfelde. Wenn die Bahn den wachsenden Aufgaben nicht nachkam, sandte das SED-Zentralkomitee Kommissionen ins Land. Deren Berichte änderten so wenig wie die Analysen der Staatssicherheit. Schuldig waren dann immer die Leiter, die - in Parteidisziplin geübt - zu den Zuständen schwiegen.

Kaschka streift auch die Anlagen der anderen Verkehrsträger in der DDR und vergleicht sie mit der Deutschen Bundesbahn. Diese war in einem Land, das den Straßenverkehr bevorzugte, ebenfalls nicht auf Rosen gebettet. Aber Kredite, Konjunkturprogramme und eine leistungsfähige Bahnindustrie sorgten letztlich dafür, dass in Westdeutschland die Bahninfrastruktur ein hohes technisches Niveau erreichte - mit Rationalisierungseffekten, die die DDR bitter nötig gehabt hätte.

Das mit vielen Einzelheiten gefütterte Buch hebt sich von anderen Publikationen auch dadurch ab, dass Kaschka auf Häme verzichtete, die Leistungen der Reichsbahner würdigt und unzutreffende Ansichten von Historikern über das Verkehrswesen in der DDR korrigiert.

Ralph Kaschka: Auf dem falschen Gleis, 374 Seiten, 39,90 Euro, Campus-Verlag, Frankfurt am Main 2011 Foto: Campus-Verlag

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