nd-aktuell.de / 14.08.2012 / Politik / Seite 5

Ein langes halbes Jahr für die SPD

Viele Sozialdemokraten fürchten eine langwierige Debatte um die Kanzlerkandidatur

Aert van Riel
SPD und Grüne diskutieren, wer bei ihnen Kanzler- beziehungsweise Spitzenkandidat für die Bundestagswahl 2013 werden soll. In beiden Parteien könnten die Personaldebatten noch monatelang andauern.

Der Vorstoß des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Torsten Albig kam überraschend. Er hatte sich am Wochenende in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« für Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier als Kanzlerkandidat der SPD ausgesprochen. Pikant ist, dass Albig zugleich gegen eine Kandidatur Peer Steinbrücks Stellung bezog. Immerhin war Albig von Februar 2006 bis Ende Mai 2009 Sprecher des damaligen Bundesfinanzministers, der ebenfalls Kanzlerkandidat werden möchte. Auch Parteichef Sigmar Gabriel hat Ambitionen.

Albig hat sich für sein Vorpreschen parteiintern viel Kritik eingehandelt. Generalsekretärin Andrea Nahles appellierte gestern an die Sozialdemokraten, sich mit Aussagen zur Kanzlerkandidatur zurückzuhalten. Sie fürchtet offenbar, dass die SPD sich nun auf eine monatelange lähmende Personaldebatte einstellen muss. Die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur soll erst Anfang nächsten Jahres fallen.

Ernst Dieter Rossmann, Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD, forderte im Gespräch mit »nd«, an dem Zeitplan festzuhalten. »Erst kommt das Programm, dann das Team, dann die Landtagswahl in Niedersachsen und dann wird die Kandidatenfrage entschieden«, sagte Rossmann.

SPD-Linke ohne Favoriten

Einen eigenen Favoriten für die Kanzlerkandidatur hat die SPD-Linke offenbar nicht. »Dazu haben wir keine festgelegte Auffassung. Entscheidend ist das Programm, nach dem sich der jeweilige Kandidat richten wird«, so Rossmann. Im Mai hatte die Vorsitzende der Parteilinken, Hilde Mattheis, für die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft geworben. Nach Worten von Sigmar Gabriel hat sich Kraft inzwischen »gegen Berlin entschieden«. Versuche, die Ministerpräsidentin doch noch zu einem Wechsel in die Bundespolitik zu überreden, gebe es derzeit nicht, betonte Rossmann.

Ebenso wie die SPD-Spitze schließen auch Parteilinke ein mögliches rot-grün-rotes Bündnis nach der Bundestagswahl 2013 aus. Rossmann sieht für eine solche Konstellation derzeit »keine Perspektiven, was bedauerlich ist«. Als größtes Hindernis bewertete er, dass von der LINKEN keine »verlässliche Regierungspolitik« zu erwarten sei. »Das betrifft insbesondere die Außen-, Finanz- und Europapolitik. In diesen Bereichen werden in den kommenden Jahren die wichtigen Entscheidungen getroffen«, sagte der SPD-Mann.

Allerdings gibt es in der europäischen Krisenpolitik kein einheitliches Vorgehen der Parlamentarischen Linken. So stimmte etwa Rossmann für den Fiskalpakt und den dauerhaften Euro-Rettungsfonds ESM. Andere Parteilinke votierten dagegen mit Nein.

Keine rot-grüne Mehrheit

Rossmann setzt ebenso wie seine Parteiführung auf Rot-Grün. Ähnlich hatte sich Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin vor kurzem im »Spiegel« geäußert und zugleich bekanntgegeben, er wolle wieder als Spitzenkandidat antreten. Bei den Grünen endet die Bewerbungsfrist für die Interessierten Ende August. Sollte es dann mehr Bewerber als Trittin und Parteichefin Claudia Roth geben, könnten die Mitglieder in einer Urwahl über die quotierte Doppelspitze abstimmen. Noch vor wenigen Jahren wäre eine Spitzenduo Trittin/Roth wegen der Flügelarithmetik kaum denkbar gewesen. Beide zählten zum linken Flügel der Grünen. Inzwischen haben sie sich aber den Realos angenähert.

SPD und Grüne sind laut Umfragen mit zusammen 42 Prozent der Wählerstimmen weit von einer stabilen Mehrheit entfernt. Nach jetzigem Stand wären eine Große Koalition, Schwarz-Grün oder Rot-Grün-Rot möglich. Die LINKE-Chefs Bernd Riexinger und Katja Kipping hatten in den letzten Tagen Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung formuliert. Nun setzte Riexinger die Sozialdemokraten weiter unter Druck. »Wir werden mit Genuss zuschauen, wenn die SPD ihre K-Frage löst«, erklärte er. Abhängen werde von der Entscheidung nicht allzu viel, wenn die SPD nicht gleichzeitig ihre praktische Politik zu ändern beabsichtige. Kämpferische Äußerungen im Wahlkampf passten nicht zusammen mit der Bewerbung um die Vizekanzlerschaft.