Unter Rechtsbruch gegründet

Das FBI und Hoover, Gründungsvater des modernen Überwachungsstaates

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Schade, dieses Buch berichtet nichts vom Echo, das Barack Obamas Festrede zum 100. Jahrestag der US-Bundespolizei unter den FBI-Leuten auslöste. Der Präsident sprach 2009 im Hoover Building in Washington nicht nur davon, wie aus den 34 Special Agents von 1908, die Präsident Roosevelts Justizminister rechenschaftspflichtig waren, heute »mehr als 30 000 Männer und Frauen« wurden, die für das FBI arbeiten. Er sagte auch, dass es neben vielen Veränderungen Konstanten gebe, namentlich »die Herrschaft des Gesetzes - das ist das Fundament, auf dem Amerika errichtet wurde«.

Das FBI und die Herrschaft des Gesetzes in einem Atemzug genannt, darüber wird selbst mancher FBI-Mann geschmunzelt haben. Denn die lange Geschichte des Federal Bureau of Investigation war die längste Zeit die Geschichte einer Organisation, die das Recht mit Wildwestmethoden umging. Und das ist auch der wichtigste Befund des Buchautors und »New York Times«-Journalisten Tim Weiner: »Über Jahrzehnte hinweg hat das FBI der nationalen Sicherheit vornehmlich durch Rechtsbeugung und Rechtsbruch gedient.«

Der Autor, der vor Jahren mit einem Porträt der CIA einen Bestseller hatte, legt seine Ermittlungsergebnisse ruhig und sachlich vor. Er demontiert zahlreiche Legenden und stützt sich dabei u. a. auf 70 000 Seiten handschriftlicher Notizen des Gründers und 48 Jahre amtierenden Direktors des FBI, John Edgar Hoover (1895-1972). Sie waren nach einer Klage erst 2008 freigegeben worden.

Dieses voluminöse Buch offenbart weithin haarsträubende Praktiken bei der Abwehr von Spionage und Terror. Das FBI trat 1908 bereits unter Rechtsbruch ins Leben. Denn das Parlament hatte die Schaffung einer bundesstaatlichen Polizeibehörde abgelehnt. Doch der Justizminister beschäftigte seine Agenten weiter und rüstete sie zum Inlandsgeheimdienst für den Präsidenten auf. Erst seit vorigem Herbst besitzt die Behörde ein Handbuch fürs eigene Tun und Lassen, aber bis heute »keine rechtliche Legitimierung, abgesehen vom Eid des Präsidenten, dafür zu sorgen, dass den Gesetzen Genüge getan wird«. Nur für die vergangenen drei Jahre unter Direktor Robert Mueller und Präsident Obama bescheinigt Weiner dem FBI neue Normalität. Dem Geheimdienst ist es nur noch im Falle einer Kriegserklärung durch den Kongress und nicht mehr lediglich mit geheimem Präsidialerlass uneingeschränkt möglich, Durchsuchungen, Beschlagnahmungen und Überwachungen ohne richterliche Genehmigung durchzuführen. Ob das eingehalten wird? Daran muss gezweifelt werden. Die Rückfälle in die Rechtlosigkeit sind zu zahlreich.

Weiner erfasst die Fülle an Rechtsbrüchen minutiös, bereitet sie lesbar auf und erzählt sie straff. Mitunter ermüdet die schiere Beispielflut. Seine Sogwirkung bezieht das Buch aus der selbstverständlichen Dreistigkeit und jahrzehntelangen Rücksichtslosigkeit, mit denen sich das FBI über Gesetz und Recht erhob. Und aus der Paranoia, mit der Hoover als Direktor (1924-1972) hinter nahezu allen Bedrohungen Moskaus lange Hand sah. Vergleiche sind mit Vorsicht zu genießen, doch die Verletzung von Bürgerrechten und der Scheuklappeneifer der FBI-Leute lässt einen beim Lesen wiederholt an eine Art Waffenbrüderschaft zwischen FBI und Geheimdiensten in sozialistischen Ländern denken. Erich Mielke hätte das Buch mit Interesse gelesen. Vermutlich mit Vergnügen. Manches FBI-Vorgehen - Telefone anzapfen, Briefe öffnen, Missliebige »zersetzen« - dürften ihm sehr vertraut gewesen sein.

Der Autor gliedert das Buch in vier Abschnitte. Er beginnt mit dem Ersten Weltkrieg und zieht den Faden über Zweiten Weltkrieg und Kalten Krieg hin zum andauernden, sogenannten Krieg gegen den Terror. Hoover war bis kurz vor seinem Tod die Spinne in einem Netz, das amerikanische Präsidenten mitunter nicht weniger fürchteten als Saboteure, Spione oder jene, die als solche galten. Allen voran Kommunisten. Letztere vor allem galt Hoovers Aufmerksamkeit. Sie fürchtete er immer, oft geradezu panisch, auch wenn es dafür keine Belege gab.

Kommunistenangst und Kommunistenhass, beginnend mit dem befürchteten Übergreifen der Oktoberrevolution 1917 auf die USA, waren der Treibsatz dafür, dass das FBI - mehr als zur Bekämpfung von Kriminalität - ein wucherndes Spitzel-, Abhör- und Vernichtungssystem im Dienste der USA-Präsidenten wurde. Das ist das Wesentliche, nicht die Legenden, die Hoovers Person umgeben. Für das Gerücht, Hoover sei homosexuell gewesen und im Fummel aufgetreten, fand Weiner keine Beweise, ebenso wenig für dessen Verteuflung als Ungeheuer. »Hoover war kein Monster. Er war ein amerikanischer Machiavelli. Er war clever, er war ausgefuchst, und er hat seine Feinde nie aus den Augen gelassen. Er war ein Gründervater des amerikanischen Nachrichtendienstes und der Erfinder des modernen Überwachungsstaats.«

Am Ende wird Hoover Opfer seiner ewigen Amtszeit und der Angst von Freunden wie Präsident Nixon, von dessen Dossiers selbst erschlagen zu werden. Schon Nixons Vorgänger Truman hatte sich Hoovers Arbeit bedient, ihm aber misstraut und, wie er am 4. Mai 1945 erklärte, befürchtet, der FBI-Direktor sei dabei, »eine Gestapo aufzubauen«.

Nach Weiners Erfahrung könnte jeder US-Präsident, der sich im Krieg wähnt (was bis heute fast alle taten), versucht sein, die Verfassung zu missachten. »All you need is a president who is more in love with power than with the law.« Es bedürfe nur eines Präsidenten, der die Macht mehr als das Gesetz liebe. Nun, daran mangelte es bis dato leider selten.

Tim Weiner: FBI - Die wahre Geschichte einer legendären Organisation. A. d. Amerikan. von Christa Prummer-Lehmair, Sonja Schuhmacher und Rita Seuß. S. Fischer. 695 S., geb., 22,99 €.

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