Piraten proben Demokratie

Partei will sich modernisieren: Weniger Rassismus, mehr E-Abstimmungen

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Piratenpartei debattiert über Rassismus und Antisemitismus in den eigenen Reihen - und darüber, wie sie mehr Beteiligung in ihrem Beteiligungstool »Liquid Feedback« generieren können. Beide Debatten haben eine unschöne Schnittmenge.

Heftige Kritik an der Piratenpartei übte am Sonntag der dunkelhäutige Politologe Yonas Endrias. Der an der Freien Universität Berlin lehrende Pirat listete eine Reihe von Fällen auf, in denen teils auch prominente Parteifreunde sich rassistisch, antisemitisch oder aber tolerant gegenüber Holocaustleugnern geäußert haben. Doch Meinungsfreiheit ende da, »wo die Menschenwürde verletzt wird«, wandte sich Endrias gegen einen - bei den Piraten offenbar immer noch weit verbreiteten - falschen Liberalismus.

Unter dem Motto »Diskriminierung geht uns alle an« trafen sich am Samstag und Sonntag ein paar Dutzend Mitglieder und Sympathisanten der Piratenpartei im Gründerinnenzentrum »WeiberWirtschaft«. Die »innerparteiliche Wirklichkeit« sei »belastet von andauernden innerparteilichen Diskriminierungen«, hieß es in der Einladung.

Unterwanderung durch Neonazis droht

Die Aufklärungsarbeit gestaltet sich offenbar mühsam, wenn man Yonas Endrias folgt. Warum Worte wie »Neger« und »Mohr« beleidigend seien, habe er selbst dem antirassistisch engagierten Teil seiner Mitpiraten erklären müssen. Er frage sich, wie es dann im Rest der Partei aussehe. »Ist diese Partei wählbar? Steht sie für Menschenrechte und Menschenwürde? Oder werden wir eine große Überraschung erleben?«, warf der Politologe als Fragen in den Raum.

Endrias zeigte noch eine andere Gefahr auf, die aus seiner Sicht besteht: Rechtsextreme könnten die Piraten systematisch unterwandern, und wenn sie gut organisiert seien, »können sie auch eine Menge Schaden anrichten«. Als eine Angriffsfläche nannte Endrias ausdrücklich das Partizipationstool »Liquid Feedback«.

Das LQFB-Tool hatten die Piraten unlängst einem Update unterzogen. Piraten-Vorsitzender Bernd Schlömer sagte, seine Partei wolle die Mitbestimmung ihrer Mitglieder verbessern. »Wir müssen nochmals stärker um Beteiligung werben«. Doch verändert wurde nur die Oberfläche und ein internes Benachrichtigungssystem.

Bei den Piraten können Themen, Ideen und Anträge bis zur Abstimmungsreife debattiert, korrigiert und vorbereitet werden. Doch LQFB-Abstimmungen besitzen bisher nur den Charakter von »Meinungsbildern«. Mancher Pirat will die Ergebnisse aus LQFB-Debatten verbindlich machen - sie also Parteitagsbeschlüssen gleich stellen, um sie so attraktiver zu machen.

Ein oft genanntes Modell lautet »ständige Mitgliederversammlung«. Sie soll als offizielles Parteiorgan gelten, Parteitage entlasten und selbstständig Positionspapiere und offizielle Aussagen der Piratenpartei formulieren dürfen. Blöd, wenn das künftige Organ von taktisch versierten Nazis missbraucht werden würde.

Das Dilemma der elektronischen Demokratie

Und vielleicht sollten die Piraten sich rechtzeitig mit dem Dilemma der elektronischen Demokratie auseinandersetzen: Eine elektronische Abstimmung ist entweder transparent oder geheim. Demokratische Abstimmungen - zumindest gilt das bisher - müssen aber beide Kriterien erfüllen.

Die Ironie bei alldem: Während die Piraten mit dem Status quo der elektronischen Mitbestimmung unzufrieden sind, kupfern fast alle anderen Parteien bei ihnen ab und versuchen, Elemente von »Liquid Democracy« (im Kern: mehr Mitbestimmung) halbwegs unfallfrei in den politischen Alltag zu integrieren.

Die LINKE arbeitet sei Langem mit dem »Liquid Feedback«-Bruder »Adhocracy«. Die SPD-Bundestagsfraktion führt ihren »Zukunftsdialog« auch elektronisch. Selbst die NRW-CDU - bisher nicht als Speerspitze des Fortschritts bekannt - will »Liquid Feedback« einsetzen. Landeschef Armin Laschet trachtet danach, den »vielfältigen Sachverstand unserer Mitglieder einzubinden«. FDP-Politiker prahlen derweil, ihre Partei setze eine Software ein, die - anders als bei den Piraten - nicht nur »von Nerds für Nerds« entwickelt, sondern auch für Normalsterbliche verwendbar sei.

Mehr zum Thema: www.nd-aktuell.de/linke-und-technik

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