»Gemeinsam rein, gemeinsam raus« erodiert

  • Thomas Ruttig
  • Lesedauer: 3 Min.
Neuseeland zieht seinen Truppenabzug aus Afghanistan um einige Monate vor. Die Soldaten sollen das Land spätestens im April verlassen.

Mit Neuseeland steht ein weiteres Teilnehmerland für die derzeit aus Soldaten aus 49 Nationen bestehende ISAF-Schutztruppe in Afghanistan vor dem vorzeitigen Abzug. Nachdem am Montag in der Zentralprovinz Bamian ein Konvoi der Neuseeländer in eine Sprengfalle gefahren war und dabei drei Soldaten umkamen, sagte der konservative Premierminister John Key, es sei möglich, dass seine Regierung ihre Soldaten vielleicht schon bis zum Jahresende, und nicht erst zum offiziellen ISAF-Abzugstermin Ende 2014, nach Hause hole. Dies hänge aber nicht mit dem Tod der Soldaten zusammen. Derlei Überlegungen habe es bereits davor geben.

Die 145 Soldaten des südpazifischen Landes waren zuletzt unerwartet unter Feuer geraten. Die meisten sind als Provinzaufbauteam (PRT) in Bamian stationiert, wo bis zum letzten Jahr kaum Aktivitäten der Aufständischen zu verzeichnen waren. Neben Australien, Schweden, Südkorea, aber auch Georgien, der Mongolei, der Ukraine, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Tonga und anderen gehört Neuseeland zu den Nicht-NATO-Ländern unter den Truppenstellern für ISAF, dessen letzte publizierte Gesamtzahl im Mai mit 129 469 Soldaten angegeben wurde. (www.nato.int/isaf/docu/epub/pdf/ placemat.pdf) Die Regierung in Wellington ist zwar nicht direkt an die NATO-Doktrin des »Gemeinsam rein, gemeinsam raus« (Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière) gebunden. Aber dass die Bereitschaft erodiert, der US-geführten derzeitigen Militärmission in Afghanistan bis zum Ende treu zu bleiben, ist bereits seit längerem deutlich.

Frankreichs Präsident François Hollande hatte zügig nach seinem Wahlsieg im Mai sein Versprechen wahr gemacht, den Abzug der Kampftruppen seines Landesum ein Jahr auf Ende 2012 vorzuziehen. Selbst sein US-freundlicherer Vorgänger Nicolas Sarkozy hatte nicht bis 2014 warten wollen. Die Niederlande und Kanada haben bereits im August 2010 bzw. im Juli 2011 ihre Soldaten aus den Kampfoperationen herausgenommen; 500 bzw. 950 blieben aber als Ausbilder für die afghanische Armee und Polizei im Land. Australien - mit derzeit 1500 Soldaten das größte Nicht-NATO-Kontingent - gab im April ähnliches für Mitte 2013 bekannt.

Großbritannien, engster Alliierter der USA in Afghanistan, hat seine Truppen ebenfalls, aber geringfügig reduziert und die Südprovinz Helmand an US-Truppen übergeben. Belgien wird bis Ende des Jahres sein Personal halbieren. Polen wollte seine Kampftruppen ursprünglich ebenfalls 2012 zurückziehen, scheint dies aber aufgegeben zu haben.

Ende 2014 werden keinesfalls alle ausländischen Truppen Afghanistan verlassen. Abgezogen werden die meisten Kampftruppen, die verbleibenden werden zu Trainern und Mentoren der afghanischen Sicherheitskräfte umgewidmet. Zahlen sind bisher nicht bekannt, aber US-Medien gehen von einigen zehntausend aus. Anfang 2015 wird es also ISAF nicht mehr geben, aber eine neue NATO-Mission unter neuem Namen, wenn, so NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, die afghanische Regierung das so wünsche - und davon kann man ausgehen.

Dazu kommen Spezialkräfte. Das werden vor allem US-Amerikaner sein, die weiterhin mit Drohnen, nächtlichen Zugriffen (»night raids«) und in Kooperation mit irregulären, milizenähnlichen afghanischen Verbänden die Taliban bekämpfen und an einer Machtübernahme in Kabul hindern sollen. Andere Länder wie Großbritannien, Australien und Norwegen sollen den Verbleib solcher Kämpfer bereits zugesagt haben.

Mit der Truppenreduzierung wird auch die zivile Hilfe schrumpfen. Die noch 27 PRTs - eine der Hauptsäulen der NATO-Strategie, die auch Entwicklungsaufgaben haben - sollen bis Ende 2014 an die afghanische Regierung übergeben werden. Das größte Geberland, die USA, hat sein Entwicklungsbudget für Afghanistan von 2010 auf 2011 schon fast halbiert.

Die EU, Deutschland und einige andere Länder haben versprochen, das derzeitige Niveau zu halten. Aber fest steht das angesichts der Eurokrise nicht.

Thomas Ruttig ist Co-director des Afghanistan Analysts Network

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