Ein wenig durchgeknallt eben

Der Militärgeheimdienst MAD verursacht wieder Skandal-Schlagzeilen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Per Zufall sind im NSU-Ausschuss neue Vorwürfe gegen die Sicherheitsbehörden aufgetaucht: Der Militärische Abschirmdienst (MAD) führte schon Mitte der 90er Jahre eine Akte zu einem späteren Mitglied des Neonazi-Killer-Trios.

So viel mediale Aufmerksamkeit wie am Dienstagabend hat der kleine schmächtige Mann wohl noch nie auf sich gezogen. Man merkt, dass ihm das Interesse so gar nicht gefällt. Er ist eher der »Graue-Maus-Typ«, sein dezenter Anzug unterstreicht die gewollte Unauffälligkeit des Verwaltungsbeamten. Doch die Augen sind hellwach, wenn er ebenso geduldig wie wohlakzentuiert Fragen von Journalisten beantwortet. Dann verabschiedet er sich freundlich und geht. An seiner Seite laufen ein hochaufgeschossener Oberstleutnant der Luftwaffe und ein etwas kräftiger Kofferträger im Zivilanzug. Die Begleitung macht die Wichtigkeit des kleinen Mannes klar. Er heißt Ulrich Birkenheier, er ist 63 Jahre alt, Jurist, Oberstleutnant der Reserve und seit dem 1. Juli 2012 Präsident des Amtes für den Militärischen Abschirmdienst.

Birkenheier wurde am Dienstag vor den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages gerufen. Dort erwarteten ihn die Abgeordneten wenig freundlich. Nur zufällig war offenbar geworden, dass der MAD dem Ausschuss eine Akte vorenthalten hat, die zur Aufklärung der Versäumnisse beim Kampf gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) beitragen kann. In der Tat, der Inhalt, den man inzwischen kennt, ist ein interessanter Mosaikstein, um zu begreifen, wie aus Mitläufern im rechtsextremistischen Thüringer Heimatschutz Terroristen wurden, denen man den Mord an zehn Menschen vorwirft. Einer der Terroristen hieß Uwe Mundlos, Professorensohn, geistig gewandt und offenbar fanatisch rechtsextrem. Als er seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr leistete, geriet er mit fünf weiteren Soldaten ins Visier des MAD. Der befragte ihn, weil er »teilweise mit rechtsextremistisch zu wertendem Verhalten aufgefallen« ist. Mehr noch, der MAD wollte Mundlos 1995 als V-Mann werben, aber vergeblich.

Warum wurde die Akte samt dieser Befragung nicht vorgelegt? MAD-Chef Birkenheier hatte eine verblüffende Antwort parat: »Das MAD-Amt bemüht sich immer, die Akten umfassend und so schnell wie möglich dem Untersuchungsausschuss zukommen zu lassen.« Der habe jedoch nur nach vorhandenen Akten gefragt, nicht auch nach vernichteten. Und da der MAD die bewusste Datensammlung bereits durch den Schredder geschickt hatte, habe man sich - so Birkenheier - korrekt verhalten. Ganz wider die Natur des Partnerdienstes fand sich ein Duplikat im Bundesamt für Verfassungsschutz. Was der MAD seit August 2012 weiß. Doch man teilte dieses Wissen lediglich mit einem Referatsleiter im Verteidigungsministerium. Motto: Mag der Ausschuss selbst recherchieren ... Verteidigungsminister Thomas de Maizieré gab unterdessen am Mittwoch an, von der Existenz der Akte bereits seit mehreren Monaten Kenntnis zu haben. De Maizieré nannte es laut dpa »unsensibel«, dass sein Haus den Ausschuss nicht über deren Existenz informiert habe.

Die Folge? Birkenheier wird samt seinem Vorgänger Karl-Heinz Brüsselbach und besagtem Ministeriellen im Oktober als Zeuge vor dem Ausschuss erscheinen müssen. Zeit genug, sich und möglicherweise weitere vorhandene Akten zu sammeln. Womöglich hat der Ausschuss am Dienstag einen Fehler gemacht, indem er nicht - wie eigentlich geplant - Oberst a.D. H. vernommen hat. Der Eklat um die vorenthaltene Akte hätte vermutlich Huths Aussagewilligkeit gesteigert. Der Oberst war lange Jahre im MAD zuständig für die Abwehr von Rechtsextremismus.

Wer im NSU-Fall recherchiert, stößt immer wieder auf den MAD. Bereits unmittelbar nachdem Mundlos und sein NSU-Kumpan Uwe Böhnhardt sich im November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach angeblich selbst gerichtet hatten, war der MAD - nebst Verfassungsschützern und Leuten vom BND - zur Stelle. Wieso interessieren sich Militärspione für Bankräuber?

Sicher ist: Zusammen mit dem Bundesamt und dem thüringischen Landesamt für Verfassungsschutz war der MAD zwischen 1997 und 2003 an der »Operation Rennsteig« beteiligt, mit der die Geheimdienste Informationen über die Neonazi-Szene in Thüringen und Bayern gewinnen wollten. Der MAD, nach zahlreichen Vorkommnissen und herben öffentlichen Vorwürfen in den 90er Jahren unterwegs, um Rechtsextremismus in der Truppe einzudämmen, betätigte sich offenbar als V-Mann-Akquisiteur für den Verfassungsschutz, der große Schwierigkeiten hatte, zuverlässige Gewährsleute im rechten Bereich zu finden.

Wie umfangreich die MAD-Aufklärungsarbeit war, zeigt eine Zahl: Allein im Jahr 2010 habe man durch vorbeugende Arbeit die Einberufung oder Weiterverpflichtung von mehr als 1000 potenziellen Extremisten verhindert, heißt es in dem Regierungsbericht an das Parlament. Dass darunter keine Linken waren und vermutlich nur wenige, die dem Islam anhingen, dürfte sicher sein. Die Begeisterung für das deutsche Militär ist in solchen Kreisen unterentwickelt. Im MAD ist man sauer über eine Feststellung des Bundesrechnungshofes, laut der es durchschnittlich nur 48 rechtsextreme Verdachtsfälle pro Jahr gebe. Das sei zwar richtig, doch betreffe das nur die Fälle, in denen der Verdacht gerichtsfest belegt worden sei. Weitere 200 Fälle jährlich, in denen ein Verdacht nur zur Entlassung oder Ablehnung eines Bewerbers durch die Bundeswehr geführt hat, müssten addiert werden.

Von den derzeit rund 1200 Mitarbeitern tragen zwei Drittel Uniform. Sie arbeiten immer als Team, meist zu dritt: Zwei Beschaffer, die draußen im Einsatz sind, und ein Auswerter, der Informationen, auswertet, für andere Teams und befreundete Dienste verwertbar macht. Dazu gibt es noch Observations- und Abhörmaßnahmen, doch die Arbeit hat längst nichts mehr zu tun mit dem Agentenjob im Kalten Krieg. Wie BND und Verfassungsschutz stehen dem MAD Auskunftsrechte gegenüber Banken, Postdienstleistern, Luftfahrtunternehmen und Telekommunikationsunternehmen zu. Er ist befugt zum Einsatz des sogenannten IMSI-Catchers, mit dem sich die Standorte sowie die Geräte- und Kartennummern aktiver Mobilfunkgeräte feststellen lassen. Über die Technik verfügt die Bundeswehr im In- und Ausland.

Das Kerngeschäft des MAD sind Sicherheitsüberprüfungen. Pro Jahr fallen durchschnittlich 56 000 im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums an. Dabei sind auch Einsatzgebiete des deutschen Militärs betroffen. Die drei Stufen unterscheiden sich in Überprüfungstiefe sowie nach Art und Umfang des beabsichtigten Zugangs zu Verschlusssachen. Bei der zweiten Stufe werden bereits Auskunftspersonen einbezogen, man durchleuchtet Lebenspartner.

Wenn es um die Kontrolle des geht, trifft man auf weniger Anstrengungen. Eigentlich soll das geheime Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages die Aufsicht über die Militärspione ausüben. Doch das kümmert sich weniger um Soldaten. Man verlässt sich auf den Verteidigungsausschuss. Im März war da der MAD das letzte Mal Thema, rein informativ. So ist der MAD, nicht nur weil er der kleinste Geheimdienst ist, der am wenigsten kontrollierte.

Geheimdienste sind a priori nicht kontrollierbar, sagt die Linkspartei und will den MAD ebenso wie alle anderen Dienste abschaffen. Die Grünen haben diese Radikalität längst hinter sich gelassen, doch den MAD halten sie für entbehrlich. So auch die FDP. Sogar Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) befand den MAD für überflüssig. Gefragt, was die Bundeswehr ohne ihn machen würde, antwortete Birkenheiers Vorgänger: »Sie würde darüber nachdenken, warum es den MAD nicht gibt.« Zumindest im Englischen ist das verquere Wesen des MAD sofort erkennbar: Mad bedeutet so viel wie verrückt, irre, durchgeknallt ...

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