Verpasste Chance

Stadt Hamburg gibt künftiges Wohnareal ab

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein großes Bahngelände in Hamburg-Altona soll mit Wohnungen bebaut werden. Dass die Stadt nun angekündigt hat, gegenüber einem Investor auf ihre Kaufoption zu verzichten, sorgt an Alster und Elbe für Diskussionen. Der Bau von Sozialwohnungen soll laut Absprachen zwar garantiert sein, doch daran gibt es Zweifel.

In der SPD-geführten Hansestadt Hamburg wächst die Wohnungsnot. Nach einer Studie des Pestel-Instituts müsste die Elbmetropole ihren Bestand von 108 000 Sozialwohnungen verdoppeln, um allen finanzschwachen Haushalten eine günstige Unterkunft zu bieten. »59 Prozent der Hamburger Haushalte haben mittlerweile so wenig Einkommen, dass sie Anspruch auf eine geförderte Mietwohnung haben«, sagt Heike Sudmann, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN-Bürgerschaftsfraktion.

Die Macht der Ottos

Auf einem brachliegenden Güterbahnhof, der die Stadtteile Altona und Ottensen trennt, sollen 3500 Wohnungen entstehen. An Stelle der Güterhallen sind auch eine Schule, Geschäfte und Restaurants geplant. Die 75 Hektar große Gleislandschaft, auf der die Bagger Ende 2013 erstmals rollen sollen, wird zur »Neuen Mitte Altona«.

Ein Teil davon, die Neue Mitte Ost, gehört seit Juli dem Immobilienunternehmen ECE, deren Geschäftsführungsvorsitzender Alexander Otto - ein Otto aus der Versandhandelsdynastie - auch Aufsichtsratsvorsitzender des Fußball-Bundesligisten Hamburger SV ist. Die Stadt einigte sich mit dem Unternehmen nun auf ein Konzept - und rief damit Widerspruch bei der Opposition hervor. Der Senat verzichtet auf sein Vorkaufsrecht, sofern die ECE sich an Vorgaben für ein »autoarmes Quartier« und an den »Drittelmix« hält. Danach wird ein Drittel der geplanten 1200 Wohneinheiten Sozialwohnungen, die anderen Drittel werden ungebundene Miet- und Eigentumswohnungen. Es seien »sehr harte« Verhandlungen gewesen, erklärte Martin Lepper für die ECE. Das sehen nicht alle so. »Der Senat vergibt ohne Not eine große Chance«, kritisiert LINKEN-Entwicklungspolitikerin Sudmann: »Leider scheinen die Renditewünsche der Grundeigentümer dem Senat wichtiger zu sein, als preisgünstigen Wohnraum zu schaffen.« Der grüne Abgeordnete Olaf Duge nannte die Vereinbarung eine »reine Luftnummer«.

Sie und andere Kritiker zweifeln an der Nachhaltigkeit im Vorgehen des Einkaufszentren-Betreibes ECE. Sie fürchten einen profitablen Weiterverkauf, der bisherige Absprachen gefährdet. Auch der ehemalige Hamburger Oberbaudirektor Egbert Kossak sprach sich für den Erwerb des Geländes durch die Stadt aus. »Wahrscheinlich hat es sich die Stadt mit Otto nicht verderben wollen«, kommentierte er im Hamburger Abendblatt die Situation.

Während in Altona die Errichtung einer IKEA-Filiale in einer ausgedehnten und schmucklosen Einkaufspassage per Bürgerentscheid bestätigt wurde, durchläuft das ehemalige Industriegebiet Ottensen seit Jahren einen Aufwertungsprozess. Die Folgen sind steigende Mieten und die Verdrängung eingesessener Geschäfte durch Ladenketten, was Proteste gegen diese Entwicklung bewirkt.

SPD-Senat optimistisch

Wer welchen Platz in der »Neuen Mitte« findet, wird das Bild des Gebiets mit prägen. »Als zukünftige Bewohner des neuen Quartiers möchten wir nicht nur beteiligt sein, sondern auch Einfluss nehmen auf die Planung«, fordert das Bündnis »Autofreie Mitte Altona«. Es verlangt eine »konkrete und transparente Auseinandersetzung«.

Nach Ansicht des SPD-Senats sind seine Vorkehrungen ausreichend, um dies zu gewährleisten. »Gemeinsames Ziel ist es, ein lebendiges und soziales Wohnquartier zu schaffen«, sagt Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau (SPD). Mehr als ein Drittel Sozialwohnungen bereitzustellen, sei auch für die Stadt nicht finanzierbar. Zudem besitzt sie bei Verstößen des Investors gegen die Vereinbarung weiterhin die Möglichkeit, die »Neue Mitte« wieder als »Entwicklungsgebiet« zu deklarieren und einzugreifen.

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