Auf dem Weg zur Fiskalunion

Gastkolumne von Rudolf Hickel

  • Rudolf Hickel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Reaktionen auf das Karlsruher Urteil zum Euro-Rettungsschirm (ESM) verblüffen. Ein Klägerspektrum von Gauweiler bis Gysi verlangt Dankbarkeit für die Rettung der parlamentarischen Demokratie. Auch die Beklagten erklären sich zu Siegern. Und der DAX dankt dem Bundesverfassungsgericht mit einem Sprung nach oben. Nach dieser Einheitsfront des Lobes lohnt der Blick darauf, was die Verfassungsrichter beschlossen und wozu sie sich nicht äußerten. Einer ihrer Fundamentalsätze lautet: Zur Sache wird nicht Stellung genommen, im Mittelpunkt steht nur, ob bei den politischen Entscheidungen für die Haftung der Euroländer Verfassungskonformität eingehalten wurde. Das Gericht sagt: Ja, aber.

Hervorzuheben ist, dass der parlamentarische Souverän eine Obergrenze des deutschen Finanzbeitrages setzte: 170 Milliarden Euro als Garantien für die Kreditvergabe und 22 Milliarden als Bargeldeinlage in den ESM. Weil die Richter ahnen, dass die Obergrenze überschritten werden könnte, wird für die Ausweitung des Haftungsvolumens ein parlamentarisches Verfahren eingefordert. Die deutsche Vertretung muss in den zuständigen Gremien zustimmen und zwar auf Basis eines Beschlusses durch Bundestag und Bundesrat.

Im Kern wiesen die Verfassungsrichter durch diese Verfahrensregel den Weg zum Ausbau der Haftungs- bis zu einer Fiskalunion. Das ist der eigentliche Erfolg für die Zukunft des Euro, den die jubelnden Kläger nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Dabei provoziert Karlsruhe mit dem Widerspruch zwischen notwendiger Euroisierung der Haftungsunion einerseits und Rettung des deutschen Souveräns anderseits. Damit sind neue Klagen programmiert. Das Rollenspiel scheint klar: Künftige Gralshüter nationalstaatlicher Souveränität werden klagen, dann vom Gericht abgeschmettert - allerdings mit der erneuten Zusicherung, dass die parlamentarisch demokratischen Rechte gestärkt werden müssten.

Dieser Teufelskreis lässt sich nur durch die inhaltliche Absicherung der Zukunft des Euro durchbrechen. Den Verzicht auf Hinweise zur richtigen Strategie kann sich nur das Bundesverfassungsgericht, nicht aber die Politik leisten. Es geht jetzt vor allem um die Fragen, welchen Beitrag der Rettungsfonds zur Stabilisierung des Euro leistet und vor allem, wem dieser nützt. Um Nutzen und Nutznießer der Rettungspolitik muss gestritten werden. Wer behauptet, der Rettungsschirm sei ein Rettungsprogramm der Banken, muss nach erstem Jubel sehen, dass das Urteil für ihn eine schwere Niederlage ist. Auch Banken dürfen mit deutschen Garantien gerettet werden. Es kommt also darauf an, mit dem Rettungsprogramm die Entmachtung der Banken zu koppeln. Dazu dient eine mit Aufsichts- und Eingriffsrechten ausgestattete Bankenunion.

Das Bundesverfassungsgericht spielt den Ball in die Politik zurück. Jetzt muss über die richtigen Instrumente der Eurorettung und die Zukunft innerhalb einer Währungs- und Wirtschaftsunion entschieden werden. Dazu gehört der Rettungsfonds, der die Spekulanten aus der Refinanzierung der Krisenstaaten raushält. Hinzu kommen Schuldenschnitte zu Lasten bisheriger Gläubiger, ein Schuldentilgungsfonds zusammen mit der Finanzierung über eine Vermögensabgabe, Eurobonds - und statt zerstörerischer Rotstiftpolitik Programme zur Stärkung von Wirtschaftsstrukturen. Dabei sind die Rettungskosten niedriger als die Schäden durch einen Euroausstieg.

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