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Ein Ausstieg mit Zumutungen

In Dresden debattierten Linke, ob der Verfassungsschutz abgeschafft gehört - und was danach kommen kann

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie weiter mit dem Geheimdienst nach dem NSU-Skandal? Die Frage sorgt auch unter Linken für rege Debatten - wie jetzt bei einer Veranstaltung von Sachsens Linksfraktion.

Ende Juli 1994 wurde ein Konzert der Naziband Oithanasie verboten. Fans und Musiker fuhren mit dem gemieteten Bus statt dessen in die KZ-Gedenkstätte Buchenwald; sie randalierten und zeigten den Hitlergruß. Die Teilnehmer waren auf Fotos gut zu erkennen, die ein beteiligter V-Mann des Verfassungsschutzes schoss und in der Behörde zeigte. Dort entschied man aber nicht, Ermittlungen zu veranlassen. Die Fotos wurden verbrannt - um die Quellen zu schützen.

Die Episode erzählt Martina Renner, um zu illustrieren,warum sie den derzeit bestehenden Verfassungsschutz nicht nur für unfähig und nicht kontrollierbar hält, sondern für gefährlich. Er müsse, sagt die Thüringer Landtagsabgeordnete der LINKEN, deshalb »abgewickelt« werden. Für das Thüringer Landesamt, das im Zusammenhang mit der NSU-Affäre bundesweit besonders ins Zwielicht geraten ist, hat ihre Fraktion das kürzlich, wenn auch erfolglos, per Gesetzentwurf bereits gefordert.

Die Genossen in Thüringen sind nicht die einzigen, die sich für die Abschaffung des bestehenden Geheimdienstes aussprechen. Allerdings ist auch bei Linken nicht unumstritten, ob und wenn ja was an seine Stelle treten soll. Teils wird ein Umbau der Behörden befürwortet, um diese nicht zuletzt besser kontrollieren zu können. Andere üben grundsätzliche Kritik. Kerstin Köditz, die für die LINKE im Dresdner NSU-Ausschuss sitzt, legt den Ämtern nicht nur schlampige Arbeit zur Last; vielmehr seien bereits lange vor dem NSU-Skandal »das System und die Motive dahinter« fragwürdig gewesen. Jetzt, fügt sie hinzu, »erwarte ich von LINKEN, SPD und Grünen, dass sie sich nicht mit Korrekturen zufrieden geben«. Auch ein Geheimdienst, der seine Akten verliere oder schreddere, sei »ein Schaden für die Demokratie«.

Soll aber ein anderes Konstrukt an seine Stelle treten? In Thüringen schlug die LINKE eine Einrichtung namens »Dokumentations- und Informationsstelle« vor - und zwar, weil die bisherige Behörde gar nicht ersatzlos abzuschaffen sei, so Renner: In Grundgesetz und Landesverfassung gebe es »Errichtungsverpflichtungen«. Anders als der Verfassungsschutz soll die Stelle aber auf nachrichtendienstliche Mittel verzichten.

Den Abschied vom bisherigen Geheimdienst hält auch der Kasseler Jurist Horst Meier für nötig, der mit Claus Leggewie das Buch »Nach dem Verfassungsschutz« geschrieben hat. Er kritisiert, dass der Verfassungsschutz seit Gründung »ideologisch befrachtet« sei. Auf Basis eines fragwürdigen Extremismuskonzepts gehe es ihm darum, »flächendeckend und weit im Vorfeld abweichendes Denken zu erkennen« - ein Zustand, der es besonders fragwürdig erscheinen lässt, dass Verfassungsschützer zunehmend in der politischen Bildung aktiv sind und etwa Vorträge an Schulen anbieten, wie Friedrich Burschel von der Rosa-Luxemburg-Stiftung anmerkt. Derlei Aktivitäten will eine Initiative verhindern, deren Aufruf im Internet bereits 130 Unterzeichner hat.

Meier und Leggewie wollen an Stelle des Verfassungs- einen »Republikschutz« setzen, der nicht Inhalte, sondern Methoden der Auseinandersetzung prüfe: Die »rote Linie« verlaufe dort, wo zu Gewalt gegriffen oder aufgerufen wird. Der Ansatz, fügte Meier hinzu, beinhalte freilich eine »Zumutung« auch für Linke: Jede noch so krude Haltung, die auf Gewalt verzichte, müsse ertragen werden. Das gelte auch für Rechtspopulisten oder die NPD. Diese Zumutung ist nicht für jeden zu ertragen. Der SPD-Abgeordnete Karl Nolle etwa sagt unter Verweis auf die Widerstandsgeschichte seiner Familie, Debatten mit NPD-Politikern halte er für unvorstellbar. »Faschismus«, sagt er in die Runde, sei eben »keine Meinung, sondern ein Verbrechen.«

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