»Corelli« spielt nicht Violine

Nun muss auch Sachsen-Anhalt in das Terrornetzwerk des »Nationalsozialistischen Untergrundes« einbezogen werden

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.
Haben Verfassungsschützer erneut Wissen zurückgehalten? Nun ist im Umfeld der Neonazi-Terroristen ein V-Mann »Corelli« aufgetaucht.

Eigentlich ist Corelli als Violinist und Komponist bekannt - jedenfalls der, der auf den Vornamen Arcangelo hörte und im 17. Jahrhundert lebte. Doch aktuell muss es einen »Corelli« geben, der lieber »singt«. Und zwar gegenüber dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Zwischen 1997 und 2007 sollen diverse »Ständchen« über die Nazi-Szene in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen aufgezeichnet worden sein. Es spricht einiges dafür, dass der Geheimdienst dem Bundestags-Untersuchungausschuss, der Versäumnisse im Kampf gegen die NSU-Mörderbande untersuchen soll, abermals »Notenblätter« vorenthält.

Die Indizien dafür führen zunächst nach Sachsen-Anhalt. Das Bundesland galt als NSU-armes Gebiet. Doch dass Volker Limburg, Präsident des Magdeburger Verfassungsschutzamtes, in der vergangenen Woche seinen Hut nahm, machte stutzig. Anzunehmen, dass die Amtsflucht mit einer verschwunden geglaubten Akte des Militärgeheimdienstes zu tun hat, die auch in seinem Dienst lag, ist absurd. Es gebe »Hinweise darauf, dass ein Vertreter der Neonaziszene aus Sachsen-Anhalt, der Kontakt zum NSU-Terroristen Mundlos hatte, Informant des Verfassungsschutzes war«, fabulierte die Landtagslinke nebulös.

Obwohl Vermutungen kein Beweis sind und die Rechercheure der »Magdeburger Volksstimme« keine Ahnung von einem »Corelli« hatten, titelten sie: »Petra Pau gibt Informationen aus Untersuchungsausschuss weiter - V-Mann fliegt nach Indiskretion der Linken auf«.

»Ich kann nichts verraten haben, was ich nicht gewusst habe«, konterte die Obfrau im Bundestagsausschuss. Sie habe von keinem V-Mann gesprochen, sondern dem MDR lediglich gesagt, dass sich ein Thomas R. bis zum Abtauchen der Nazi-Mörder 1998 im Freundeskreis von NSU-Mitglied Mundlos aufgehalten habe.

Der »Volksstimme« war das egal, denn: »In Geheimdienst- und Regierungskreisen herrschen indes blankes Entsetzen und heftiger Zorn über die Indiskretion von Petra Pau. Damit dürfte das Leben des bis zuletzt im aktiven Einsatz befindlichen V-Mannes in großer Gefahr sein.«

Worum geht es eigentlich? Um die Benennung eines - im übrigen längst medial bekannten - Neonazis oder um die Diskreditierung der engagierten Aufklärerin? Es gibt durchaus Interessenten, die in die überparteiliche Arbeit des Berliner Untersuchungsausschusses Keile treiben wollen.

Davon »unberührt sollten das Bundesamt für Verfassungsschutz wie auch diverse Landesämter endlich alles auf den Tisch der Parlamentarier legen - sowohl das, was man über Thomas R. weiß, wie das, was »Corelli« betrifft. Dann wird man auf möglicherweise vorhandene Identitäten stoßen.

Von R. ist auch ohne Geheimdienstkooperation einiges bekannt. Beispielsweise mischte er im militanten Neonazi-Netzwerk Blood & Honour mit und bespitzelt bis heute mit seinem »Nationalen Beobachter« (und Nachfolger) die linke Szenen. Hat der Verfassungsschutz vielleicht Interesse an solchen Informationen?

Wenn von einem Informanten aus Sachsen-Anhalt die Rede ist, sollte sich der sächsische Verfassungsschutz nicht wegducken. Nicht nur, weil R. seit einiger Zeit in Leipzig wohnt. Auch in den Jahren davor war hier sein wichtigstes Betätigungsfeld.

Gefordert ist auch das Thüringer Landesamt. R.'s Name und weitere Kontaktdaten sind auf einer Adressliste vermerkt, die Anfang 1998 gefunden wurden und dem NSU-Mitglied Uwe Mundlos zugerechnet wird. R. gründete zudem mit anderen Anfang der neunziger Jahre den European White Knights of the Ku Klux Klan (EWK KKK). In der Truppe, die rund 20 Mitglieder hatte, war auch Michael Schäfer aus Wernigerode organisiert. Er ist Bundeschef der NPD-Jugendorganisation. Aus Baden-Württemberg gehörten zwei Bereitschaftspolizisten dazu. Mögliche Berührungspunkte zum Mord an der Polizistin Michelle Kiesewetter 2007, dem mutmaßlich letzten des NSU, sind nur in Ansätzen aufgearbeitet. Immerhin waren beide Klan-Polizisten aus Kiesewetters Böblinger Einheit und einer am Mordtag Einsatzchef.

Auch Brandenburgs V-Mann »Piato« gehörte zu der Kapuzengang. 1991 war er sogar der »Grand Dragon«, also der führende Kopf mit Sitz in Berlin.

Man sieht, an R. und gegebenenfalls »Corelli« können sich Ermittler in vielen Regionen »abarbeiten«. Auch die in Schwerin. R. unterstützte die Nazi-Hetzschrift »Der Weiße Wolf«, die zeitweise von David Petereit, heute NPD-Landtagsabgeordneter, herausgegeben wurde und in der bereits 2002 ein Gruß an den bis dahin unbekannte NSU abgedruckt war. Man wollte für eine vierstellige Bargeldspende danken. Das NSU-Geld stammte vermutlich aus einem Banküberfall.


Blood and Honour

Blood&Honour ist in Deutschland verboten. Doch die Welt ist groß. Dieser Tage wird man beispielsweise in Polen des am 24. September 1993 bei einem Verkehrsunfall gestorbenen Gründers des »Blood&Honour«-Netzwerks, Ian Stuart Donaldson, gedenken. Zwei deutsche Rechtsrock-Bands sind angekündigt. Am 22. September sollen »Oidoxie« aus Dortmund und »Sturmwehr« aus Gelsenkirchen auftreten. Bei solchen »Musik«-Festivals wird regelmäßig auch die Terrorstrategie des führerlosen Widerstandes des bewaffneten Arms »Combat 18« propagiert. hei

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