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Die Wandlung eines Junkers

Vor 150 Jahren wurde Otto von Bismarck zum Ministerpräsidenten berufen

  • Gerd Fesser
  • Lesedauer: 3 Min.

Im September 1862 sah sich der König von Preußen, Wilhelm I., in einer ausweglosen Situation. Ihm ging es vorrangig darum, seine Armee zu verstärken. Er hatte sie modernisieren und von 151 000 Mann auf 212 000 aufstocken lassen. In Preußen galt eine dreijährige Militärdienstpflicht. Seit den 1830er Jahren dienten die Soldaten aber nur zwei bzw. zweieinhalb Jahre. Wilhelm führte die dreijährige Dienstzeit wieder ein - nicht aus militärischen Gründen, sondern um die Soldaten so stärker in konservativem Sinne indoktrinieren zu können.

Die Heeresreform kostete viel Geld, und darüber entschied das Parlament (das Abgeordnetenhaus). Dort besaß seit Mai 1862 die oppositionelle Fortschrittspartei zusammen mit einer weiteren liberalen Fraktion die absolute Mehrheit. Die Liberalen waren bereit, die erforderlichen Mittel zu bewilligen, verlangten aber den Verzicht auf die dreijährige Dienstzeit. Der König weigerte sich, und so strich die Parlamentsmehrheit am 23. September die Mittel für die Heeresreform.

Der König hatte bereits am 18. September eine Abdankungsurkunde verfasst. Jetzt, am 23. September, unterschrieb er sie jedoch nicht, sondern tat etwas ganz anderes: Von Kriegsminister Albrecht von Roon gedrängt, ernannte er Otto von Bismarck zum neuen preußischen Ministerpräsidenten - den Mann, der ihm immer unheimlich gewesen war und gegen dessen Berufung er sich lange gesträubt hatte. Bismarck besaß unter den Liberalen - die nicht nur das Parlament, sondern auch die Presse beherrschten - einen denkbar schlechten Ruf. Sie sahen in ihm noch immer den politisierenden reaktionären Junker, der er 1848/49 in der Tat gewesen war. Bismarck schien zunächst derlei negative Erwartungen voll und ganz zu erfüllen. Am 30. September ließ er in einer Rede jene Worte fallen, die noch heute vielen beim Namen Bismarck sogleich in den Sinn kommen: Die »großen Fragen der Zeit« würden durch »Eisen und Blut« entschieden.

Entgegen dem Bild, das die Oppositionspolitiker von ihm besaßen, hatte Bismarck sich seit 1848/49 gewandelt. Er hatte sich zu einem sehr flexiblen Politiker entwickelt. Ihm war durchaus klar, dass er auf die Dauer nicht stur gegen das liberale Bürgertum regieren konnte. Bismarck wollte die Liberalen von der Macht fernhalten - und er griff gleichzeitig einige ihrer zentralen Forderungen auf. Im Jahre 1863 verlangte er im Frankfurter Bundestag zum ersten Male die Einberufung eines Nationalparlaments. Am 9. April 1866 wiederholte er seinen Vorstoß und fügte hinzu: Das Parlament solle in allgemeinen und direkten Wahlen bestimmt werden. Er hatte damit die liberale Opposition in der Wahlrechtsfrage gleichsam links überholt. Das Bürgertum wollte in seiner großen Mehrheit die Errichtung des einheitlichen deutschen Nationalstaats - und Bismarck nahm darauf Kurs.

In den Jahren 1864 bis 1870 inszenierte er nacheinander Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich. 1866 begann er seine »Revolution von oben«. Er schloss sie 1871 mit der Errichtung des deutschen Nationalstaats ab. Bismarck regierte das Deutsche Reich bis 1890. Im Inneren scheiterte sein Repressionskurs gegenüber der katholischen Zentrumspartei und der Sozialdemokratie, nach außen betrieb er eine Friedenspolitik. Die von Bismarck geprägte Verfassungskonstruktion des Reiches mit der Machtfülle des Kaisers und der fehlenden parlamentarischen Kontrolle über das Militär stellte für die Zukunft eine unheilvolle Belastung dar.

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