nd-aktuell.de / 29.09.2012 / Kultur / Seite 26

BLOGwoche: Fanatiker mit, Fanatiker ohne Gott

Roberto De Lapuente

Das Abendland gibt sich momentan provokant atheistisch und nennt es Meinungsfreiheit. Mit welcher Herausforderungshaltung und Verachtung seine »Intellektuellen« gegen den Islam schießen, grenzt an Perversion. Sicherlich verbergen sich hinter dem, was Islamkritik heißt, einerseits auch rechtsradikale Freaks - andererseits sind es aber atheistische und intellektuelle Affekte, die im Namen der Meinungsfreiheit einen beleidigenden Kreuzzug ausfechten. Dabei spielen sie den braunen Kretins auch noch in die deutschgrüßenden Arme. Und sie machen sich als religiöse Eiferer ohne religiösen Glauben lächerlich. Religion kommt von religare, von zurückbinden - sie ist also Rückbindung an Ideale und Werte, an Schriften und Erkenntnisse, ist folglich eine weltanschauliche Rückversicherung. Ob es darin einen Gott geben muss, steht nicht fest. Der europäische Atheismus, der dieser Tage im Namen der Meinungsfreiheit den Islam verspottet, ist als intellektuell verbrämte Verlängerung mittelalterlicher Kreuzzüge des Katholizismus ohne Kirche und Gott zu werten.

Hier diskutiert man rege, einen Film der mehr mit Volksverhetzung denn mit Meinungsfreiheit zu tun hat, auch wirklich publikumswirksam zu zeigen - dort wieder mal Karikaturen und immer mehr Karikaturen. Europa einig Provoland! Einig gegen den Islam - wenn man sich sonst schon über wenig Gemeinsamkeiten definiert: die Abneigung gegen den Islam vereint. Man hasst den Islam ja nicht - man ist nur für die Freiheit, man lehnt ihn nur im Namen atheistischer, wenigstens aber säkularisierter Errungenschaften ab. Man ist nicht rassistisch, nicht eurozentristisch, nicht leitkulturell verblendet - das wirkt zwar so, aber das sind nur Auswirkungen einer hehren Empfindung; man will dem Islam nur bringen, was man selbst als so außerordentlich bereichernd empfindet.

Die Empfindlichkeit des Islam ist sicherlich gewöhnungsbedürftig und manchmal unverständlich. Warum aber provozieren, Unruhe erzeugen, Geschmacklosigkeiten und Beleidigungen mit Meinung verwechseln? Warum annehmen, Mitglied einer Kultur zu sein, die mehr gelten soll, als es die islamische Kultur angeblich tut?

Der Autor ist Publizist und betreibt das Weblog ad sinistram; zum Weiterlesen:
ad-sinistram.blogspot.com[1]

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