Spektakuläre Zeichen

Britisches im Kunstmuseum Wolfsburg

Für prägnante Formeln sind die Briten gut. Der Historiker Eric Hobsbawn hat das »kurze 20. Jahrhundert« (von 1914-1989) als das der Extreme bezeichnet. Der Kurator Henry Meyric Hughes packt jetzt im Kunstmuseum Wolfsburg das britische Kunstschaffen dieser Zeit zwischen die Pole »Blast« und »Freeze«. Blast bezieht sich auf die Position der Vortizisten. Diese Avantgardebewegung, bekannt vor allem durch den literarischen Exzentriker Ezra Pound, trat im Juni 1914 mit der Forderung »Verdamme (Blast) England. Verfluche sein Klima für seine Sünden und Infektionen« an die Öffentlichkeit. Künstlerisch orientierten sich die Männer um Jacob Epstein, Henry Gaudier-Brzeska und David Bomberg an den abstrakten, kubistischen und futuristischen Malern und Bildhauern des Festlands. Mit einem Maschinen-Macho (»Rock Drill« von Epstein) eröffnet denn auch die Ausstellung. »Freeze« wiederum war 1988 die legendäre Exposition von Damien Hirst und seinen Freunden überschrieben, die allgemein als erstes Monument jener Minimalisten und Alltagsverwerter gilt, die die folgende Dekade als »Young British Artists« (YBA) dominierten. 1997 sprang auch das Kunstmuseum Wolfsburg auf den britannischen Dampfer und stellte diese Generationskohorte dem deutschen Publikum als »Full House« vor. Jetzt liefert Direktor Gijs van Tuyl, der gemeinsam mit Hughes die Ausstellung kuratierte, den landesspezifischen kunsthistorischen Hintergrund der gut am Markt platzierten jungen Wilden nach. »Blast to Freeze« ist Hobsbawns historiografischen Thesen nachempfunden. Als bemerkenswerte Einschnitte sind in der chronologisch aufgebauten Exposition die beiden Weltkriege markiert. Zu beiden Ereignissen gab die britische Regierung offizielle Aufträge an bildende Künstler aus. Während die Vortizisten sich noch an die Vorgabe der Dokumentation hielten, in ihren Schlacht- und Marschszenen allerdings den früheren Glauben an die Kraft der Maschine ad acta legten und zu einer düster-elegischen Beschreibung des Grauens fanden, rang sich die ihnen in den 40er Jahren nachfolgende Generation apokalyptische Visionen ab. Paul Nash sah eine Sonnenfinsternis heraufziehen, Henry Moore entwarf Ansichten eines Danteschen Inferno nach der Besichtigung provisorischer Luftschutzbunker in der Londoner U-Bahn, und Stanley Spencer schuf monumentale Bildnisse des Wirkens von Werftarbeitern, die ameisengleich in einer metallischen Hölle schuften. Illustrieren diese beiden »Kriegskabinette« gewissermaßen Hobsbawn, so weist die Ausstellung auch primär ästhetische Linienführungen aus. Henry Moores Sammlung gefundener Steine und Brocken aus den 20er Jahren korrespondiert mit Richard Longs Kreis aus Steinen (1972) und Tony Craggs farblich in Nachahmung des Regenbogens sortierten Plastikstücken (1978). Francis Bacon und Lucian Freud, die später als Protagonisten der figurativen Malerei der »School of London« Weltruhm erlangten, sind mit ihrem noch stark naturalistischen Frühwerk aus den 50er Jahren vertreten und tauchen später noch einmal mit ihren bekannten, das Fleisch feiernden Arbeiten auf. Bemerkenswert - und nichts weniger als eine Wiederentdeckung - ist die viele Aspekte der Postmoderne vorausnehmende Independent Group aus den 50er Jahren. Die um die Künstler Richard Hamilton, Nigel Henderson und Eduardo Paolozzi formierte Gruppe ließ Massenmedien und Wissenschaftsdiskurse direkt in ihre Projekte einfließen. Der ihrer Ausstellung »Parallel of Life and Art« (1953) nachempfundene Raum in Wolfsburg konfrontiert künstlerische Skizzen mit Mikroskop-Aufnahmen von Zellen, Boxern im Kampf und Maschinen aller Art. Er adelt die Empirie im Verhältnis zum formalen Kunstschaffen und kann daher durchaus als Wegbereiter für Warholsche Suppenbüchsen gelten. Natürlich fehlen die Protagonisten der Pop Art und der Abstraktion in diesem Durchlauf britischer Kunstgeschichte nicht, doch wirken sie mehr als Rezipienten internationaler Strömungen denn als Pioniere eines Aufbruchs. Anders dagegen die unter der Strömung »neue britische Skulptur« zusammengefassten, aber kaum zu vereinheitlichenden Künstler. Ihre Werke bilden den vielleicht herausragendsten Raum in Wolfsburg. Anish Kapoors leuchtende Pigmentberge setzen ein ebenso spektakuläres Zeichen wie Craggs arrangierte Plastikteile, Antony Gormleyas aus Fiberglas geschweißter liegender Mensch oder Bill Woodrows textile Installation eines Flugzeugabsturzes. Alle diese Künstler setzen ihre Bilder aus unverbrauchten nicht-künstlerischen Materialien zusammen und erzeugen durch diese Zweckentfremdung beträchtliche Spannung. Doch ebenso wenig berauschen sie sich am gemeinhin verachteten Status des Mülls, wie es jüngere Kollegen praktizieren, sondern verschreiben sich dem subtilen Arrangement. Entlassen wird man mit Damien Hirsts Hunderte Fliegen (und Fliegenleichen) enthaltendem Glaskasten »A Hundred Years«. Eine Besinnung aufs Werden und Vergehen schli...

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