Fehlschläge in Afghanistan-Politik

Nüchterne Bilanz ein Jahr nach Kriegsbeginn

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Ein Jahr nach Kriegsbeginn ist Afghanistan in der US-amerikanischen Öffentlichkeit kaum Thema. Doch während die Kriegsmaschine den Irak ins Visier genommen hat, geben Regierungsbeamte Fehler beim Wiederaufbau zu.

Am 7.Oktober letzten Jahres dröhnten die ersten B-52-Bomber über den Ozean, um im kurz zuvor erklärten »Krieg gegen den Terror« Massenvernichtungswaffen auf Afghanistan abzuwerfen. Mit überwältigender Zustimmung der US-amerikanischen sowie der internationalen Öffentlichkeit hatte die Bush-Regierung einem der ärmsten Länder der Erde, seinem fundamentalistischen Taliban-Regime und der Al-Qaida-Organisation Osama bin Ladens, die in Afghanistan mit Unterstützung der Taliban operierte, den Krieg erklärt. Und während die ersten Bombenpiloten ihre tödliche Last über Afghanistan abwarfen, machte Washington deutlich, dass der Krieg gegen das Land nur ein erster Schritt im weltweiten »Antiterror«-Krieg sei. Vizepräsident Dick Cheney betonte, der »Krieg gegen den Terror« werde »viele Jahre dauern«, und »wahrscheinlich nicht zu unseren Lebzeiten aufhören«. Angesichts solch dramatischer Worte vor einem Jahr ist es erstaunlich, dass die US-amerikanische Öffentlichkeit vor dem Jahrestag nicht nur Osama bin Laden, sondern auch Afghanistan offenbar vergessen hat. Artikel und Fernsehberichte über das Land am Hindukusch werden wie vor dem 11.September 2001 nur veröffentlicht, wenn sie einen spektakulären US-amerikanischen Bezug haben. Es schien allenfalls, als hätten sich erst in den letzten Tagen, kurz vor dem Jahrestag, einige in den vergangenen Monaten angestaute Berichte ihren Weg auf die Titelseiten gebahnt: die Verurteilung des »US-amerikanischen Taliban« John Walker Lindh zu 20 Jahren Haft, das Geständnis des verhinderten »Schuhbombers« Richard Reid, Al-Qaida angehört zu haben, die Verhaftung einer angeblichen »Terrorzelle« im Bundesstaat Oregon, die sich dem Dschihad gegen die USA habe anschließen wollen. Afghanistan diente den Nachrichten aber jeweils nur als malerisch-gruseliger Hintergrund. Nach dem Pflichtprogramm zum Jahrestag selbst, werden Printmedien, Fernsehen und Radio wieder zum »business as usual« übergehen - und das heißt seit Wochen Irak. Die größte Tageszeitung »USA Today« brachte als erste am Freitag eine auf Stichworte verkürzte Einschätzung der Lage in Afghanistan. Das Blatt verschwieg dabei nicht, dass Außenminister Colin Powell zwei Tage zuvor die Redaktion persönlich aufgesucht hatte. »Eine enorme Menge« sei erreicht worden, so Powell, »und das von Null in nur einem Jahr«. Doch die Zeitung ließ sich Kritik nicht nehmen. Hatte Pentagon-Chef Donald Rumsfeld im Interview vor einem Jahr nicht gesagt, die Zukunft Afghanistans werde »an der afghanischen Führung selbst« liegen. Fünf wesentliche Hürden, so »USA Today«, lägen auf Grund dieses Widerspruchs im Weg. Die Schwäche der Zentralregierung ermögliche den War Lords die Kontrolle über den Rest des Landes, das außerhalb Kabuls auch für ausländische Truppen eine Gefahr darstelle. Von den 4,5 Milliarden Dollars Hilfe seien außerdem nur 600 Millionen angekommen, und dies teils, weil »die Bush-Regierung die Aufmerksamkeit auf den Irak gelenkt hat«. Drittens habe sich die USA zu sehr auf die »Nordallianz« gestützt, die Hunderte von Al-Qaida- und Taliban-Mitglieder, »und möglicherweise auch bin Laden« nach Pakistan habe entwischen lassen, ein USA-freundliches Land, das von jenen jetzt destabilisiert werde. Wer sich in den USA für einen Blick hinter die afghanischen Kulissen interessiert, ist auf andere Quellen angewiesen. In der kommenden Ausgabe der linken »The Nation« berichtet Ahmed Rashid aus Lahore über ein - so die Überschrift - »Gefährdetes Afghanistan«. Während die USA sich dem Irak zuwenden, »machen die extremistischen Kräfte ihr Comeback«, weiß Rashid. Der alte Bekannte und Bündnispartner der USA aus den 80er Jahren, Gulbuddin Hekmatyar, habe sich mit anderen starken War Lords zusammengetan, um die afghanische Regierung zu destabilisieren. Das Pentagon hatte die Kriegsherren entgegen der Kritik der afghanischen Loya Jirga auch rhetorisch aufgewertet und sie »regionale Führer« genannt. Rashid gelang es, den Hardliner und stellvertretenden Verteidigungsminister Paul Wolfowitz für »The Nation« zu interviewen. Er gab darin zu, die USA müssten ihre Afghanistan-Politik verändern. Es müsse dem Pentagon in Zukunft darum gehen, »die afghanische Armee zu trainieren, die International Security Assistance Force (ISAF) zu unterstützen und zum langfristigen Wiederaufbau beizutragen«, so Wolfowitz. Und: »Nur 30 Prozent dessen, was dieses Jahr an Geldern versprochen war, ist angekommen«. Doch diese anscheinend freimütige Selbstkritik von Wolfowitz rückt der Autor anschließend ins rechte Licht. Abgesehen von der Tatsache, dass Washington an Finanzhilfe so oder so nur die Hälfte dessen gewährt, was die EU beiträgt, und die USA pro Monat weiterhin rund eine Milliarde Dollar in den Afghanistan-Krieg pumpen, ist die Bush-Regierung nicht bereit, in Zukunft positiv zu wirken: Das Pentagon, so Rashid, »sähe gerne die Ausdehnung der ISAF, will aber, dass andere diese übernehmen; Washington schließt USA-Truppen als Friedensbewahrer aus; es möchte, dass andere mehr Geld für den Wiederaufbau ausgeben«. Die Absicht der USA, in Afghanistan zum Aufbau eines funktionierenden wirtschaftlichen und staatlichen Systems beizutragen, ist offenbar nicht vorhanden. Vermutlich ist die Austrocknung des Terrorismus e...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.