Kruzianer, Meistersinger

Kammersänger Prof. Theo Adam wird heute fünfundsiebzig

  • Lucie Walter
  • Lesedauer: 5 Min.
Seinen 75. Geburtstag wird er ausnahmsweise mal privat feiern können. Über Jahre war für ihn an seinem Ehrentag Festspielzeit, ob nun in Bayreuth, Salzburg oder anderswo. Theo Adam ist aber auch heute noch gefragt: als Liedsänger, in Opernrollen, bei Lesungen aus seinen Büchern. Zum Beispiel aus »Lyrik unterwegs«. Manches Mal auf Reisen, bei Wartezeiten in der Theater-Garderobe, hat er Verse niedergeschrieben. »Ein Sängerleben« heißt seine Bilanz von 1997, nachdem er schon vor zwei Jahrzehnten »Aus der Werkstatt eines Sängers« berichtet hatte unter dem Titel »Seht, hier ist Tinte, Feder, Papier«. Dabei handelte es sich um Worte des Hans Sachs aus Wagners »Meistersingern« - es war eine der schönsten von mehr als 100 Bühnenrollen des Jubilars. Über die Opernfigur des Sachs hat er, wie auch über seinen Wotan im »Ring des Nibelungen«, den Scarpia in Puccinis »Tosca«, den »Einstein« in Paul Dessaus gleichnamiger Oper zunächst für sich und dann in diesem Buch reflektiert. Gründlichkeit der Rollenanalyse hat Adam auch zu einigen eigenen Regiearbeiten geführt - deutlich ganz der Tradition verbunden, aber handwerklich stets sorgfältig, zum Beispiel Mozarts »Figaro«, Tschaikowskis »Eugen Onegin«, Wagners »Parsifal«. Als Elfjähriger hatte der Arbeitersohn Theo Adam Aufnahme in den Dresdner Kreuzchor gefunden. Dort wurde er unter Rudolf Mauersberger bald als Solist eingesetzt - eine wichtige Basis für den späteren Beruf, wie natürlich auch der Gesangsunterricht bei Kammersänger Rudolf Dittrich in der Elbestadt. Bevor er aber bei Letzterem in die Lehre gehen konnte, wurde Adam noch eingezogen, gleich nach dem Abitur, es war das letzte Kriegsjahr. Darauf folgten Gefangenschaft und beruflicher Start als Neulehrer. Der Drang, durch seine künstlerische Arbeit letztlich auch musische Bildungsarbeit zu leisten, ist Adam nie ganz abhanden gekommen. So hat er sich mancher Diskussion gestellt, Einführungen gegeben, das Publikum als Adressat stets hoch geachtet. Ob er Mozart sang, Verdi, Strauss oder Wagner - stets gingen markante Sanges-Leistungen von Weltniveau mit überzeugender Darstellung einher. Klein hatte der junge Sänger angefangen: 1949/50 mit dem Tschernikowski in Mussorgskis »Boris Godunow« (bald sang er auch die Titelpartie), oder dem 2. Gefangenen in Beethovens »Fidelio«. Später lehrte er seine Nachfolger in dieser Rolle als brutaler Pizarro das Fürchten. Als 1955 die kriegszerstörte Berliner Staatsoper wiedereröffnet wurde, sang er schon unter Franz Konwitschny den Pogner in den »Meistersingern«. Mit 29 wurde er in der DDR Kammersänger, bald verliehen ihm auch Bayern und Österreich diese Würde. 1951 hatte ihn die Lindenoper für die kleinere Partie des Hermann Oertel in den »Meistersingern« geholt. Im Folgejahr schon sang Adam in Bayreuth. Von da an gastierte der Dresdner dort regelmäßig, wurde zu einem der führenden Wagner-Sänger der letzten Jahrzehnte. Sowohl Wieland als auch Wolfgang Wagner förderten und forderten ihn früh. Bereits 1954 hatten ihn Frankfurt (Main) - immerhin schon u. a. als König Marke in Wagners »Tristan und Isolde« - und Wien (Sarastro in der »Zauberflöte«) engagiert; es folgten bald auch München, Hamburg, London, Rom, Chicago, Paris, Genf. Ensemble- und Liederabend-Gastspiele führten ihn nach Moskau, Leningrad, Prag, Budapest, Sofia. Adam war stets auch ein wichtiger Konzertsänger. Davon zeugten in jüngerer Zeit der Basspart in Beethovens »Neunter« mit der Neuen Lausitzer Philharmonie oder der »Elias« im Mendelssohn-Oratorium mit der Mecklenburgischen Staatskapelle Schwerin. In Dresden hob er in einem Liederabend Christian Münchs »Amor voll Unvernunft« nach Texten von Giordano Bruno aus der Taufe. Überhaupt steht er der Musik des 20. Jahrhunderts aufgeschlossen gegenüber. In der Friedrich-Cerha-Oper »Baal« nach Brecht, einer Ko-Produktion der Wiener und Berliner Staatsoper, sang er die Titelpartie, wo auch Bänkelton gefordert war. »Ich mache einen neuen Adam aus mir«, heißt es darin. Und das galt in der Tat für diese hemdsärmelige Rollen-Interpretation mit tragischen Untertönen. In jüngerer Zeit ist Theo Adam geradezu auf zwielichtige Gestalten in Opern der klassischen Moderne festgelegt. Nachdem er in Dresden ergreifend Alban Bergs »Wozzeck« war, wurde er in dessen »Lulu« nacheinander Dr. Schön, Jack the Ripper und Schigolch. »Eine Respektsperson selbst im Elend«, konstatierte eine große Zeitung über letztere Rolle bei den Salzburger Festspielen. Bei einem Gedenkkonzert zur Befreiung des Todeslagers Auschwitz in der Berliner Staatsoper war Theo Adam der markante Sprecher in Arnold Schönbergs »Ein Überlebender aus Warschau«. Beleg zugleich für die stets aufs Gesellschaftliche zielende Haltung des Künstlers. Jahre zuvor hatte er am selben Orte dem Moses in der Schönberg-Oper »Moses und Aron« in der Lesart von Ruth Berghaus Gestalt und Stimme gegeben. Viele Partien großer Komponisten der jüngeren Zeit hat sich Adam erarbeitet, von Luciano Berio, Hans Werner Henze, Paul Hindemith, Igor Strawinsky, Ottmar Gerster. Auch die klassische Operette fehlte nicht im Repertoire, so der Frank in Johann Strauß' »Fledermaus«. Mit welchen Meistern des Taktstocks hat er nicht alles gearbeitet! Ob Bernstein, Böhm, Karajan, Keilberth, Kempe, Klemperer, Kleiber jun., Knappertsbusch, Solti, Suitner - sie alle waren ihm Partner. Wie auch viele Meister der Regie: Erhard Fischer, Joachim Herz, Ernst Legal, Günther Rennert, Wieland Wagner, Franco Zeffirelli. »Jedes Jahrzehnt des Menschen hat seine eigenen Hoffnungen und seine eigenen Aussichten und sein eigenes Glück!« Diese Goethe-Worte zitiert der Jubilar gern. Das jetzige Dezennium ist gekennzeichnet u. a. von seinen Meisterkursen (seit 1979 ist er Gesangs-Professor) und dem Juryvorsitz bei Gesangswettbewerben. Nicht zuletzt auch von der Existenz eines Theo-Adam-Preises für Sänger, geschaffen von der Stiftung zur Förderung der Semperoper. Letzterer gehört der Jahrhundertsänger natürlich auch als Ehrenmitglied an. Gut zu wissen, dass es viele Schallplatten, TV- und Rundfunkaufnahmen von ihm gibt, wenn seine Live-Auftritte rarer werden. Freilich: »Den Schigolch kann ich noch singen, wenn ich 90 bin«, meint er. Als 74-Jähriger aber hat er soeben in der Komischen Oper überaus erfolgreich die große Partie des Pimen im »Boris Godunow« gesungen. Welch erfreuliche Kondition. Er tut viel dafür, zum Beispiel schwimmt er täglich. Gesundheit und langes Leben, lieber Theo Adam!
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