Von einem der auszog, die Freiheit zu finden

Die Abenteuer des Alemani Mourad

  • Heinz Odermann
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Er wollte Journalist werden, vielleicht auch einmal Bücher schreiben, ohne in eine bürgerliche Existenz hineinzugleiten. Er war bereit, Umwege, Heimweh, Armut, Gefahren, Hunger und Durst, alle Strapazen auf sich zu nehmen, »um nicht wie eine Damaszener-Klinge in der Scheide der alltäglichen Langeweile zu verrosten«. Der Lebensbericht des Mourad Kusserow ist spannend. Er kündet von den Abenteuern eines Berliner Jungen, den der Bombenkrieg des Zweiten Weltkrieges nach Crimmitschau in Sachsen verschlug. Die Mutter starb am 1. Mai 1954, »und für mich war ihr Tod wie der Rausschmiss aus dem Paradies«. Von der Mutter die Träume, von dem weit gereisten Vater das Fernweh, nutzte er vier Wochen später, im Alter von 15 Jahren, das II. Deutschlandtreffen der Freien Deutschen Jugend in Berlin (Ost), in den Westen zu gehen, um dort die Freiheit zu finden, die er in der DDR vermisste. Seine sozialistische Grundbildung hat aus ihm keinen Sozialisten gemacht; doch muss die humanistische Erziehung und Bildung in der DDR sein Weltbild mitgeformt haben: Als er 1959 nach Nordafrika aufbrach, entschied er sich freiwillig für die Algerische Nationale Befreiungsfront (FLN), nahm am Kampf gegen den Kolonialismus, gegen Ausbeutung und Menschenverachtung teil. Ironie der Geschichte, dass etwa zur gleichen Zeit ein anderer Deutscher vom Westen in den Osten wechselte, um hier seine Freiheit zu suchen, die er im Westen nicht fand. Die Ideale, die beide hatten, führten sie Anfang der 60er Jahre zusammen, ohne dass sie sich kannten und miteinander je gesprochen hatten. Dieser andere wurde Partner in einer gemeinsamen Sache: der Rückführung der Fremdenlegionäre der französischen Kolonialarmee in ein ziviles Leben, denn der andere war Leiter des Arabischen Programms des Auslandsrundfunks der DDR, Radio Berlin International. Ab März 1961 strahlte RBI ein Sonderprogramm für Algerien aus. In deutscher Sprache rief der Sender die Legionäre zur Flucht auf; in Französisch brandmarkte er die Kriegsverbrechen der Kolonialmacht; in Arabisch/Maghrebinisch stärkte er die Zuversicht der Freiheitskämpfer. In langen Reihen nannte RBI die Namen der bereits geflohenen Legionäre, gab den Eltern das ersehnte Lebenszeichen ihrer Söhne und holte diese an das Mikrofon als Berichterstatter ihrer Flucht und Aufnahme im Rückführungsdienst der FLN in Tetouan, Marokko. Für uns in der Arabischen Redaktion war Tetouan, Postfach 399, lange Zeit eine wichtige Adresse. Das Material der Programme erhielt die Redaktion von Ulrich Kusserow, dem Flüchtling aus der DDR, dem Alemani, dem Deutschen in der FLN und in der Algerischen Befreiungsarmee (ALN), die ihm den Namen Mourad gaben. Er leistete eine beispielhafte Arbeit. 4111 Fremdenlegionäre, darunter 2783 Deutsche, verließen die Kolonialarmee. Mourad schrieb Rundbriefe an Politiker, an die Medien, an Parteien und Gewerkschaften und beschrieb das Netzwerk des Terrors, besonders die Grausamkeiten der Geheimorganisation der französischen Armee, der OAS, gegenüber der algerischen Zivilbevölkerung. Mourad Kusserow hatte sich entschieden, als Muslim in der islamischen Welt zu leben. Der Islam gab ihm einen inneren Halt, Marokko ein neues Zuhause und die ALN ein Gemeinschaftsgefühl. Im Gewimmel der Altstadt von Tetouan, in den versteppten Hochplateaus Ostmarokkos mit den weiten Horizonten und der einsamen Wildnis der Bergwelt des Rifs konnte er durchatmen und die große Freiheit, von der er träumte, erleben. Er las dort auch Cháteaubriand, Victor Hugo, Rousseau, die französischen Romanciers des 20. Jahrhunderts. Aus allen Zeilen seines Buches spricht seine hohe Wertschätzung der französischen Kultur. Mourad Kusserow kennt keinen Kampf der Kulturen. Mourad Kusserow: Flaneur zwischen Orient und Okzident. Verlag...

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