nd-aktuell.de / 28.11.2002 / Brandenburg

Ob Klassik oder Anton aus Tirol - niemals die gleiche Leier

Meister Axel Stüber in Biesdorf baut weiterhin nur Drehorgeln mit Walze und Lochband

Hans-Jürgen Neßnau
Berlin ist die Hauptstadt der Drehorgel. Sagt man jedenfalls bei den Internationalen Drehorgelfreunden Berlin. Der Verein hat 185 Mitglieder - es sind Besitzer und Liebhaber der Drehorgel in traditioneller Bauart, also mit Walze und Lochbandstreifen. Orgeln mit Mikrochip sind bei ihnen verpönt. 80 Mitglieder und Orgelspieler leben in Berlin. In Hellersdorf trafen sich kürzlich Drehorgelspieler aus sieben Ländern zu einer Drehorgelmatinee. Kurz darauf gab es in Holland ein Wiedersehen. Dann waren 40 Drehorgeln aus ganz Deutschland in Wittmund/Ostfriesland versammelt. Diesen Kunstgenuss der seltenen Art kann man regelmäßig in der Biesdorfer Eitelstraße erleben. Hier hat der einzige Drehorgelbauer in den neuen Bundesländern sein Domizil. Auch im ND-Gespräch legte er den »Riemen auf die Orgel«, begleitete sie mit einem kräftigen Bariton. In seiner Werkstatt setzt er die Tradition der typischen Berliner Musikinstrumente fort: Drehorgeln haben keine Elektronik. Gesteuert werden sie wie in der Blütezeit vor über 130 Jahren zu Heinrich Zilles Zeiten per Lochband. Orgelbaumeister Axel Stüber, Jahrgang 1954, hat sein seltenes Handwerk bei der Firma Sauer in Frankfurt (Oder) - die kreierte u.a. die Orgel für den Berliner Dom - von der Pike auf gelernt. Mit solchen »profanen Dingen« wie den Leierkästen beschäftigte er sich während der Ausbildung jedoch nicht. Ohnehin hält Stüber diese lediglich für verstimmte Drehorgeln. Zunächst hatte er vorwiegend Kirchenorgeln gebaut und repariert. Acht Jahre lernte Stüber auf einer Musikschule Geige. Ovationen für sein Musizieren erntete er jedoch nicht. »Ich konnte auch nicht sehr gut Orgel spielen«, erinnert sich der Orgelbaumeister, »und war begeistert, dass ein Instrument schöne Melodien spielt, ohne dass man dafür üben muss«. Bereits als 23-Jähriger machte sich Axel Stüber selbstständig. In Friedrichshain übernahm der im mecklenburgischen Güstrow Aufgewachsene den Handwerksbetrieb des letzten Orgelbauers in Berlin Ludwig Glöckner, der aus Altersgründen einen Nachfolger suchte. 1985 bekam Axel Stüber seinen Meisterbrief. Er beschäftigt bis heute - auch nach seinem Umzug nach Biesdorf, wo er kürzlich sein 25-jähriges Firmenjubiläum feierte - bis zu vier Mitarbeiter. Kirchenorgeln stellt er inzwischen nicht mehr her. Die Pflege und Reparatur machen lediglich fünf Prozent des Firmenumsatzes aus. Bereits mit der Wende hatte er sich für die Produktion von Drehorgeln entschieden. Denn damals stießen die einstigen großen Orgelbau-Betriebe der DDR, die auf den Export ausgerichtet waren, in den Markt der kleineren Handwerksbetriebe. In etwa 200 Stunden schaffen Stüber und seine Mitarbeiter mittlerweile ein Instrument. In hoher handwerklicher Qualität und mit viel Liebe zum Detail entstehen von den Drehorgeln Mini-Serien von sechs bis zehn Exemplaren. Sie haben mit 2720 bis 11000 Euro ihren Stückpreis. Aus 17 Ländern, so aus England und Schweden, Bolivien, Japan und Australien, komme die Kundschaft, freut sich der Firmenchef. In der Werkstatt riecht es nach Knochenleim, der traditionell im Drehorgelbau verwendet wird. Palisadenholz liegt zum Schneiden an der Kreissäge, auch ein Stapel Lederstreifen. Diverse Materialien werden benötigt - für den Blasebalg wird Ziegenleder verarbeitet. Die Pfeifen sind aus Birnenholz, Bambus oder Messing. Axel Stüber stellt notenbandgesteuerte Drehorgeln her. In eine Papierrolle sind Löcher gestanzt, die durch Luft abgetastet werden und einen Mechanismus auslösen, der die Luft zu einer bestimmten Pfeife strömen lässt und so einen Ton erzeugt. Eingeweihte können am Klang eines Instrumentes erkennen, wer es gebaut hat. Zirka 600 Lochbänder, also verschiedene Musikstücke, hat der Drehorgelbauer anzubieten. Von Klassik bis »Anton aus Tirol« reicht das Repertoire. Auf den Lochstreifen lässt sich so gut wie jeder Titel für eine Drehorgel arrangieren. »Die Beatles sind allerdings schwierig«, räumt Stüber ein. Und Techno gehe gar nicht. Die Melodie fehle. Jedes Band ist dreißig Meter lang und spielt etwa zehn Minuten. Derart ausgerüstet, touren Enthusiasten, die sich im Club Deutscher Drehorgelfreunde mit seinen 1000 Mitgliedern zusammengetan haben, durch die Lande, nehmen an Messen teil, spielen auf Jahrmärkten und pflegen die alte Leierkasten-Tradition.
Infos: www.berliner-drehorgel.de, www.drehorgelinfo.de