War es Mord?

  • Caroline Buck
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Wien-Besuchern mit einem Hang zum Film ist Brigitte Timmermann schon länger als die Frau bekannt, die zweimal wöchentlich durch die Straßen und unterirdischen Kanäle der Stadt führt, auf den Spuren eines Flüchtigen, mit dessen Namen das Bild vom Nachkriegs-Wien weltweit verbunden ist: Harry Lime, der dritte Mann. Pünktlich zur Wiener Galavorführung der digital restaurierten Fassung des Films im Rahmen der Viennale erschien nun ein Prachtband mit großformatigen Szenenfotos aus »Der dritte Mann«, für den Timmermann nach umfänglicher Recherche den Text verantwortet. Als der Brite Carol Reed nach einem Drehbuch von Schriftsteller Graham Greene 1948 in Wien drehte, lag die Stadt in Trümmern. Ähnlich wie Berlin war sie in Zonen geteilt, die jeweils einer der alliierten Mächte unterstanden, anders als in Berlin aber hatte man durch die Stadtmitte keine ideelle Mauer gezogen, sondern verwaltete den innersten Stadtbezirk gemeinsam. Viersprachige Patrouillen versuchten dort, Recht und Ordnung herzustellen und die allgegenwärtigen Schwarzmarktaktivitäten unter Kontrolle zu halten, während gleichzeitig jede Nation bemüht war, durch Ausstellungen und Lesungen zugleich mit den kulturellen Vorzügen der eigenen Sprache und Geschichte gegebenenfalls auch den demokratischen Gedanken zu transportieren. Die Geschichte vom naiven Amerikaner Holly Martins, der nach Wien fährt, weil sein cleverer Freund Harry angeblich einen Job für ihn hat, und gerade zurechtkommt zur Beerdigung des Freundes, der einem Autounfall zum Opfer fiel, dann aber stutzig wird, weil sich die Zeugenaussagen zum Unfallhergang merkwürdig widersprechen - waren nun zwei Freunde anwesend, die dem Sterbenden an der Unfallstelle Beistand leisteten, oder gab es einen ominösen dritten Mann, der später nicht aussagte, war der Unfall vielleicht gar Mord? -, wurde von den Wienern anlässlich der österreichischen Premiere des Films wütend als diffamierend abgetan. Heute haben sich die Geister beruhigt, läuft der Film zweimal wöchentlich im Burgkino und gehört längst zum kulturellen Erbe der Stadt. Und tatsächlich malt er wohl ein treffendes Bild, schließlich hatte Greene selbst sich auf der Suche nach Motiven in schäbigen Tanzlokalen umgesehen, mit britischen Offizieren gesprochen und die Abwässerkanäle besichtigt, in denen der gesuchte Penicillin-Schieber Harry Lime sein zweites, endgültiges Ende findet. Und die Besetzung war glanzvoll: Orson Welles in der Titelrolle, Joseph Cotten als Martins und Trevor Howard als englischer Major auf den Spuren des Schiebers, englischsprachige Zugpferde für den internationalen Markt, daneben österreichische Filmgrößen von Paul Hörbiger bis Hedwig Bleibtreu in den Rollen der kriegsmüden und wahlweise schiebenden oder zwischen Resignation und knapp verhohlener Ausländerfeindlichkeit erstarrten einheimischen Bevölkerung, dazwischen der italienische Hollywood-Star Alida Valli als Anna Schmidt. Timmermann gliedert ihren Text in thematische Kapitel, aufgehängt an der Zeitachse des Films und zwischen die fortlaufenden Filmbilder geschoben, was sowohl ein chronologisches Rekonstruieren der Handlung über die Bilder unter Überspringen des Textes ermöglicht als auch das Vertiefen von Einzelaspekten der Produktionsgeschichte oder des historischen Kontextes durch punktuelle Lektüre. Ähnlich gegliedert ist auch die Ausstellung, die begleitend zur Buchpräsentation im Historischen Museum der Stadt Wien eröffnet wurde (bis 2. Februar 2003). An einigen Stellen hätte ein kritischeres Lektorat den Band noch verbessern können, so wenn Timmermann Namen von Filmschaffenden falsch schreibt, die nicht unmittelbar mit ihrem Thema zu tun haben (Peter Bogdanovich, Ethan Hawke), Textbezüge herstellt, die es wohl nur in der deutschen Synchronfassung des Films gibt (wenn Edgar Wallace an die Stelle von Zane Grey tritt als großes Vorbild des Western-Autors Martins) oder passagenweise in allzu euphorischen Werbestil verfällt, den weder sie noch der Film selbst nötig haben, so wenn sie ihn vor Herabsetzungen zu schützen bemüht ist wie im Kapitel über die Zithermusik von Anton Karas, die zwar zum populären Schlager wurde, die man aber auch als allzu repetitiv kritisierte. Insgesamt aber wird kein Fan des »Dritten Manns«, von Reed, Greene oder Welles ohne dieses Buch auskommen wollen, das im nächsten Jahr a...

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