Beim Zocken gestört

Proteste auf der Hauptversammlung des ehemaligen Nazi-Konzerns

  • Martin Brust, Frankfurt (Main)
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Die endgültige Liquidation der I.G. Farben AG in Abwicklung wird sich erneut verzögern. Entgegen anders lautenden Ankündigungen der Liquidatoren ist mit dem Abschluss des Verfahrens nun doch erst im Jahre 2004 zu rechnen. Zur Begründung verwies Liquidator Volker Pollehn auf der am Mittwoch in Frankfurt (Main) tagenden Hauptversammlung des Konzerns darauf, dass ein Teil der Immobilien, die den Großteil des Restvermögens des ehemaligen Chemiekonzerns darstellen, noch immer nicht verkauft seien. Die seit mehr als 50 Jahren anstehende Auflösung des Konzerns wird damit weiter verschleppt.

Vor dem Aktionärstreffen protestierten rund 30 Konzern-Kritiker gegen das erneute Aufschieben der Liquidation. Die IG Farben ließ daraufhin den Saal von Ordnungskräften räumen. Kritische Aktionäre fordern seit mehreren Jahren eine sofortige Auflösung des Konzerns und die Auszahlung des verbliebenen Vermögens an überlebende Zwangsarbeiter. Der Chemiekonzern war Hauptfinanzier der Nazis und versklavte in zum Teil eigens errichteten Konzentrationslagern Hunderttausende Menschen. Rund 100 Demonstranten erwarteten die Aktionäre der »IG Farben AG in Abwicklung« am Mittwochmorgen im Frankfurter Stadtteil Bergen. Vertreter antifaschistischer Initiativen und kritische Aktionäre forderten - wie seit nunmehr 15 Jahren - erneut die Auflösung des größten Konzerns im nationalsozialistischen Deutschland und eine Verwendung des verbliebenen IG Farben-Vermögens zur Entschädigung der überlebenden Zwangsarbeiter. Kurz nach dem Beginn der Hauptversammlung machten etwa 30 kritische Aktionäre unter dem Motto »Alle Jahre wieder: KZ-Profiteure beim Zocken« auf ihre Forderungen aufmerksam. Doch eine Möglichkeit, auch auf der Hauptversammlung zu sprechen, wurde den Initiativen verwehrt. Stattdessen wurden sie von Angestellten eines privaten Wachdienstes und von Polizisten aus dem Raum gedrängt. Auf Veranlassung des Sicherheitsdienstes wurde dabei auch die Berichterstattung anwesender Journalisten gestört. Der Liquidator Volker Pollehn reagierte auf die Kritik der Protestierenden ungerührt. Der Konzern habe, so der Schweriner Rechtsanwalt, »eine der gewaltigsten Protestlawinen, die deutsche Unternehmen je erlebt haben, mit Anstand durchgestanden«. Eine Rückerlangung alten Ostvermögens strebt der Konzern allerdings nicht mehr an. Anders verhält es sich im so genannten Interhandel-Komplex. Zwar bestehen hinsichtlich der während der Nazizeit über die Schweizer Holding Interhandel abgewickelten Geschäfte keine rechtlichen Ansprüche mehr. Dem aber wollen sich Pollehn und die IG Farben auch in Zukunft nicht fügen: Man strebe weiterhin nach einem Ausgleich in dieser Sache. Außerdem sei die Schweizer Bank UBS »gut beraten, sich mit uns zu einigen - so lange das noch möglich ist«, erklärte Pollehn. Sonst trage sie »den Makel des Unrechts auf ihrer Stirn«. Unter Bezug auf den für das Jahr 2001 vorgelegten Geschäftsbericht erklärte der Konzern erneut, das Vermögen aus der Interhandel-Angelegenheit zur Entschädigung von Zwangsarbeitern verwenden zu wollen - wenn man es denn zurück erhalte. Allerdings hält dieses Argument schon seit einigen Jahren für die »weitere Verfolgung der Ansprüche« her und galt intern auch als Begründung dafür, dass die seit Herbst 2001 eingerichtete Zwangsarbeiter-Stiftung der IG Farben nur mit 500000 statt mit den angekündigten drei Millionen Mark ausgestattet worden war. Die Stiftung hat bislang ohnehin keine Auszahlungen vorgenommen. Zum Vergleich: Die jährlichen Pensionsverpflichtungen für ehemalige IG-Farben-Beschäftigte bezifferte Liquidator Otto Bernhardt (CDU) auf 800000 Euro im Jahr. Die seit mehr als 50 Jahren andauernde »Auflösung« der IG Farben wird sich entgegen anders lautenden Ankündigungen um ein weiteres Jahr verschieben. Nach Angaben der Liquidatoren sei vor allen Dingen der bislang ausgebliebene Verkauf von Immobilien und Grundstücken im Wert von 75 Millionen Mark verantwortlich. Allerdings sei bereits ein Käufer gefunden. An der Tatsache, dass sich das Restvermögen - und damit auch die potenzielle Summe möglicher Zahlungen an die ehemaligen Zwangsarbeiter - im Geschäftsjahr 2001 erneut deutlich verringert hat, ändert dies jedoch zunächst nichts. Und hält die Hinhaltetaktik der Liquidatoren weiter an, könnte es bald ohnehin nichts mehr abzuwickeln geben: Auf der Hauptversammlung wurde ein Betriebsverlust von fast zehn Millionen Mark im letzten Jahr bekannt gegeben. Das Restvermögen des Konzerns ist damit auf eine Gesamtsumme vo...

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