Rudolf Hickel - Abgeltung für Vermögende

Das so eben zu Ende gegangene Jahr präsentiert ökonomisch und politisch wahrlich keine gute Bilanz. Das Wirtschaftswachstum dümpelte nur leicht über der Nullmarke. Die Arbeitslosigkeit nochmals deutlich zugenommen. Im Dezember erreichte der Zuwachs an registrierten Erwerbslosen den Höchstwert, der letztmals vor fünf Jahren erreicht wurde. Wirtschaftliche Stagnation am Rande des Abgrundes sowie hohe Arbeitslosigkeit haben Bund, Länder und Kommunen sowie die Sozialversicherungssysteme mit Einnahmeausfällen und Krisenkosten belastet. Auch 2002 brachte (leider) nicht den dringend erforderlichen Kurswechsel der Politik unter den die Wirtschaft gestaltenden Zielen »Arbeit, Umwelt, Soziale Gerechtigkeit« (Überschrift des ersten rot-grünen Koalitionsvertrags vom Oktober 1998). Im Gegenteil, mit wenigen Ausnahmen haben sich die Ideologie und Praxis der rot-grünen Bundesregierung noch deutlicher als zuvor auf den Rückzug des Staates aus der gesamtwirtschaftlichen und sozialen Verantwortung konzentriert. Anstatt mit einer ökologisch fundierten Strategie das Wirtschaftswachstum und damit die angebotene Zahl an Arbeitsplätzen zu erhöhen, werden die Arbeitslosen durch die schrittweise Umsetzung der Hartz-Vorschläge unter Druck gesetzt., billigere und deregulierte Jobs (Leiharbeit statt Kündigungsschutz) anzunehmen. Wenn sie dem Diktat nicht folgen, kommt es zu massiven Einschränkungen ihres Sozialeinkommens. Im Aufschwung befindet sich nach den neuen Beschlüssen nur noch der Niedriglohnsektor.Die Finanzpolitik verzichtete auf ein mittelfristiges Zukunftsinvestitionsprogramm, mit dem Konjunktur, Beschäftigung sowie ökologischer Umbau hätten gestärkt werden können. Obwohl die Krisenrealität sowie die Steuerentlastungen für Unternehmen eine höhere Neuverschuldung erzwungen haben, wurde einerseits die Verteufelung einer gezielt eingesetzten öffentlichen Kreditaufnahme fortgesetzt. Die Chance, zusammen mit den anderen Euro-Mitgliedsländern, die kurzfristige Begrenzung der Neuverschuldung gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt auf drei Prozent sowie die mittelfristige Reduktion auf Null Prozent aufzuheben, ist nicht genutzt worden.Andererseits fehlte der Mut, das Scheitern der Unternehmenssteuerreform einzugestehen. In nicht gekanntem Ausmaß kam es 2002 zu Einbrüchen bei den Steuereinnahmen. Dank der Änderungen im Steuerrecht zahlten die Aktiengesellschaften zahlten nicht nur keine Körperschaftsteuer mehr, sondern bekamen diese durch legale Verrechnungsmöglichkeiten erstattet. Die Belastungen waren beim Bund und den Ländern, die sich diese Einnahmen hälftig teilen, groß. Die Mega-Verlierer waren wiederum die Kommunen, während gleichzeitig dort die Kosten für Sozialausgaben in Folge hoher Arbeitslosigkeit stiegen. Zweierlei Fehlentwicklungen des Steuersystems sind 2002 vertieft worden: Zum einen hat die Reform der Unternehmensbesteuerung massiv zu Verlusten bei den Steuereinnahmen geführt. Dadurch kam es zu Finanzierungsengpässen in wichtigen öffentlichen Bereichen wie dem Sozial- und Bildungssystem sowie der Umweltpolitik. Zum anderen hat sich die Verteilung der Last der Steuern vom Unternehmenssektor sowie den Vermögenden weiterhin zu den Lohn- und Gehaltsabhängigen verschoben. Das Prinzip wachsender Steuerbelastung mit steigender ökonomischer Leistungsfähigkeit ist erneut eingeschränkt worden. Aber auch innerhalb der Wirtschaft haben große Aktiengesellschaften ihre Steuerlast relativ stärker im Vergleich zu kleinen und mittleren Unternehmen reduzieren können. 2002 bot aber steuerpolitisch auch einen Lichtblick, der jedoch bald wieder verschwinden sollte. Die soziale Ungerechtigkeit im Steuersystem zusammen mit fehlenden Geldern zur Finanzierung von öffentlichen Aufgaben der Zukunftsvorsorge haben zur Forderung nach der Wiederbelebung der seit 1997 wegen eines Verfassungsgerichtsurteils vom Juni 1995 ausgesetzten Vermögensteuer für private Haushalte und Betriebe geführt. Die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen - unterstützt auch durch Schleswig-Holstein - hatten beschlossen, die Vermögensteuer auf der Basis hoher Freibeträge mit einem Steuersatz von einem Prozent zu reaktivieren. Die hochgerechneten Jahreseinnahmen von ca. 4,5 Milliarden Euro sollten für Bildungsinvestitionen in den Ländern genutzt werden. Dafür stand der Slogan »1 Prozent für 100 Prozent der Kinder - 1 Prozent Vermögensteuer macht die Menschen nicht arm, aber 100 Prozent der Kinder reicher«. In verblüffender Übereinstimmung mit großen Wirtschaftsverbänden offenbarte sich flugs der Bundeskanzler als erbitterter Gegner dieses Vorschlags aus den SPD-regierten Bundesländern. Im Vorfeld der Landtagswahl in Niedersachsen drohte ein Großkonflikt mit der Berliner Regierung. Wieder einmal zauberte er in eine medienwirksame Lösung: Auf die Vermögensteuer wird ein für alle Mal verzichtet. Es lebe eine neue Besteuerung der Zinsen durch eine Abgeltung von 25Prozent jenseits der weiterhin geltenden Freibeträge (zusammen mit der Pauschale für Werbungskosten 1601/ 3202 Ledige/Verheiratete). Dazu gepackt ist eine Amnestie für Steuerflüchtige. Wenn sie ihr nach der Schweiz, Lichtstein, Luxemburg oderwo auch immer hin verschobenes Vermögen nach Deutschland zurückführen, zahlen sie einem Ablasspreis - einmalig 25 Prozent auf das zurückgebrachte Fluchtkapital und danach jährlich auf die Zinserträge aus dem verbleibenden, großen Rest 25 Prozent Abgeltungssteuer. Die bereits für die Niedersächsischen Wahlkampf gedruckten Plakate für die Vermögensteuer wurden mit dem Slogan »neue Zinssteuer - Kampf den Steuerflüchtigen« überklebt.Durch die agitatorisch wirksame Konzentration auf die Kapitalflüchtlinge, die mit ihrer Rückkehr mehr Geld in die öffentlichen Kassen bringen sollen, schien die Formel »Mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung der Steuerlast« für die politische Agitation gerettet zu sein. Eine doppelte Rosstäuscherei: Während die Vermögenden durch die Vermögensteuer im Ausmaß der sich daraus ergebenden höheren Leistungsfähigkeit zusätzlich besteuert werden sollten, führt die Abgeltungssteuer bei den Zinserträgen mit 25Prozent zu einer steuerlichen Entlastung der Besitzer von Geldkapital. Nach dem Geschenk an die Kapitalgesellschaften in Form der Befreiung der Steuern auf Gewinne aus der Veräußerung von inländischen Kapitalbeteiligungen zu Weihnachten 1999 wurde 2002 den Geldvermögenden das Geschenk niedrigere Besteuerung ihrer Zinseinkünfte versprochen. Selbst dem Vorsitzenden des »Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung« verschlug dieser Vorgang die Sprache. Er merkte zum Wechsel von der Forderung nach einer Steuer für Vermögende zur entlastenden Abgeltungsteuer zugunsten der Geldvermögenden pointiert an: »Das verstehe, wer kann.« Dem neuen grünen Parteichef fehlt es entweder an Verstand, oder aber er bewegt sich im Umfeld gezielter Volksverdummung, wenn er hinausposaunt, es handle sich um einen »praktischen Beitrag zur Steuergerechtigkeit«. Denn der Vorschlag zielt auf das Gegenteil von Steuergerechtigkeit. Erschwerend kommt hinzu, Gegen der bisherigen Regelung bei der Zinsbesteuerung werden erheblich wenige...

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