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Die alten Kameraden machen weiter

Nun haben wir sie, die neue, am Freitag vereidigte Bonner Ministerriege, und mit ihr wohl auch wieder den politischen Alltag. Vorbei die Übergangszeit seit den Wahlen, in der verhandelt und gerangelt, gefeilscht und taktiert wurde.

Am Ende ist, was die Aufgaben der Minister-Ressorts betrifft, so ziemlich alles beim alten. Gewiß, der Bereich Jugend, Familie, Frauen, Gesundheit wurde dreigeteilt, um wenigsten den Anschein von Quotierung im Kabinett zu erwecken, und das unsägliche innerdeutsche Ministerium ist aufgelöst, weil mittlerweise überflüssig. Aber das so eifrig beschworene Zusammenwachsen Deutschlands war dem Kanzler nicht einmal ein (wenigstens kurzzeitig existierendes) Ressort zur Förderung der Ostländer wert. Ganz zu schweigen von der beispielsweise jüngst in der „Zeit“ geäußerten Idee, vielleicht einen zweiten Vizekanzler einzusetzen.

Dieses äußerst magere Ergebnis des wochenlangen Bonner Eiertanzes ruft, gelinde gesagt, allgemeines Unverständnis hervor. Langweiliges Mittelmaß habe Kohl um sich versammelt, schreibt die Frankfurter Rundschau, und als „kompletten Fehlgriff“ stuft sie den CSU-Mann Spranger (als Minister für Entwicklungshilfe ein. Einzig die Liberalen, die dem Intimfeind CSU einen Ressortsessel abknöpften, geben neuen Gesichtern eine Chance und damit zumindest der Hoffnung auf neue Ideen.

Dennoch, der Osten des Landes scheint in Bonn trotz aller Sonntagsreden herzlich wenig zu interessieren. Vergessen zum Beispiel der Spruch, eines der drei höchsten Staatsämter mit einem Ost-Politiker zu besetzen. Immerhin sind nun drei Ministerposten abgefallen, einer davon natürlich an den einstigen de Maiziere-Zögling und heutigen Kohl-Günstling Günther Krause (Verkehr). Der Informatiker, der schon vor einem Jahr von

der Zeit schwärmte, da er allabendlich eine Büchse Ananas öffnen würde, kann sich längst mehr leisten als diese Billigimporte aus der Dritten Welt. Neben diesem strahlenden Super-Ossi wirken Angela Merkel (CDU/Frauen und Jugend) und Rainer Ortleb (FDP/Bildung) als Ministerkollegen geradezu etwas blaß, wer aber die bessere, kompetentere Arbeit leistet, wird sich zeigen. Ebenso, ob sie in der Lage sind, in diese Bonher Regierung frischen Wind, Querdenken, vielleicht sogar so etwas wie Widerspruchsgeist hineinzutragen. Aber das scheint, aufs Ganze gesehen, ohnehin kein sonderlich wichtiges Kriterium bei der Regierungsbildung gewesen zu sein.

Auf entscheidenden Positionen nämlich behielt Kohl seine alten Kameraden (boshafte Menschen könnten'das auch Seilschaft nennen). Es ist der verhängnisvolle und zumindest aus der DDR nur zu gut bekannte Wahn, auch in schwierigen Zeiten am besten möglichst alles beim alten zu lassen, weil es sich bequemer und ruhiger lebt. Innenminister Schäuble wird ebenso im Amt bleiben wie Kanzleramtschef Seiters, Verteidigungsminister Stoltenberg, Arbeitsminister Blüm und Umweltminister Töpfer. Ganz offensichtlich ist Kohl mit ihnen vollauf zufrieden. Da zudem auch Außen- und Finanzminister von den Koalitionspartnern weitermachen, dürfte sich an der Regierungspolitik kaum etwas ändern. Kostproben, die einem schon im Halse steckenbleiben konnten, waren ja in den vergangenen Wochen zu erleben: Autobahnund Telefongebühr, Mieten, deutsche Soldaten am Golf... Und die in Aussicht gestellte Erhöhung des Kindergelds sowie der Steuerfreibeträge liegt weit unter dem von der Opposition errechneten Bedarf. Nicht ausgeschlossen, daß dieses Kabinett so manchem Bürger als das Gruselkabinett des Dr. Kohl in Erinnerung bleiben wird.

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