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Polit-Karnetal in New York: Clinton am ersten Ziel seiner Träume

  • Lesedauer: 3 Min.

New York. Ein Wolkenbruch entlud sich über den Delegierten, die zur Nominierung ihres Spitzenkandidaten in die berühmte Hallenarena des Madison Square Garden strömten. Doch selbst die düsteren Zeichen des Himmels konnten die sorgfältig inszenierte Show auf dem demokratischen Wahlparteitag nicht durcheinander bringen. Um 10.52 Uhr Ortszeit, als so mancher Delegierter längst sein durchnäßtes Hemd durch ein Bill Clinton-T-Shirt ersetzt hatte, war es endlich soweit: Der 45jährige Gouverneur aus Arkansas wurde feierlich zum Herausforderer von George Bush gekrönt.

Und als wenn es noch nicht genug gewesen wäre, regnete es wie-

der - doch diesmal glitzerndes Konfetti. Die Stimmen des Bundesstaates Ohio hatten bei der Auszählung die erforderliche Mehrheit gebracht und Clinton trat seinen Triumphzug an. Die Marschkapelle machte Dampf und der Saal tobte in Karnevalsstimmung, als sich Clinton und seine Frau Hillary in rotem Kostüm und weißer Bluse mit ihrer zwölfjährigen Tochter Chelsea zur Bühne durchschlugen. Über 20 Jahre hatte Clinton, der seit früher Studienzeit das Weiße Haus im Blick hat, von diesem Moment geträumt. „Wir wollen Bill“, schrie die Menge, als sich Clinton bei dem Gouverneur von New York, Mario Cuomo, für dessen Rede bedankte. Ausgerechnet der

wortgewaltige Cuomo, der Ende vergangenen Jahres nach langem Zögern eine eigene Kandidatur gegen Clinton verworfen hatte, pries ihn nun als „neue Stimme für ein neues Amerika“. Das Land könne sich nicht noch eine Niederlage der Demokraten leisten.

Zuvor hatte die Partei ihren Streit mit dem Rebellen Jerry; Brown hinter sich gebracht. Der frühere kalifornische Gouverneur, der Clinton die Unterstützung ver T .weigert, erzwang einen 20minütigen Auftritt, indem er sich selbst nominieren ließ. Die Delegierten nahmen es gelassen und Brown wetterte „gegen den Einfluß von Macht und Geld“. Seine Vorschläge für eine radikale Änderung der

Parteiregelungen lehnte die Mehrheit aber ab, was seine 600 Delegierten mit Buh-Rufen quittierten. Zu gerne hätten Brown, der einen Feldzug gegen das politische Establishment führt, und seine Anhänger in New York Einfluß auf den Parteitag, die Wahlplattform oder einfach die Diskussion genommen. Aber die fand nicht statt, war auch nicht vorgesehen. Alles war vorbestimmt, der Kandidat in den Vorwahlen ausgesucht, das Wahlprogramm fertig gedruckt, verteilt, veröffentlicht. So zuverlässig und monoton der Teleprompter die vorgefertigten Reden nach und nach zum Ablesen auf die Glasscheiben am Rednerpult spiegelte, lief der Parteitag wie am

Schnürchen und ohne Überraschungen ab.

„Alles war entschieden, bevor wir hierher kamen“, wundert sich ein Delegierter aus Hawaii, der sich fragte, warum er überhaupt nach New York gekommen war. „Aber wir kriegen gut zu essen“, wollte er sich nicht beklagen. Als die Delegierten schließlich nach der Krönung Clintons mit der frischen Hoffnung auf eine neue Zukunft zu ihren Bussen strömten, muß ihnen der plötzlich einsetzende Nieselregen - im Vergleich zum anfänglichen Wolkenbruch - schon wie eine erste 'Besserung vorgekommen sein.

? ANDREAS LANDWEHR, dpa

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