Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Politik
  • Bundesgerichtshof bestätigt Grenzerurteile und gibt die Linie für den Honecker-Prozeß

DDR-Recht wird für nichtig erklärt

  • Kommentar Seite
  • Lesedauer: 3 Min.

Berlin (ND-K.Wenk). In einer Grundsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof am Dienstag in Berlin die Revision der Verteidigung im sogenannten zweiten Grenzerprozeß verworfen. Damit hat die höchstrichterliche Instanz zunächst die Auffassung des Berliner Landgerichts über die Strafbarkeit des Schußwaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze und das Urteil im Ergebnis bestätigt. Die Verantwortung für die Schüsse auf die Flüchtlinge wird somit auch den Soldaten angelastet.

In ihrem damaligen. Urteil hatte die Strafkammer des Berliner Landgerichts das DDR-Grenzgesetz als zwar „hartes und ungerechtes Gesetz“ bezeichnet, aber darin keinen Verstoß gegen den Kernbereich des Rechts erkannt. Dem widersprach nun der 5. Strafsenat des Bundes-

gerichtshofs. Das Grenzgesetz sei kein Rechtfertigungsgrund für das Verhalten der DDR-Grenzer, da es sehr wohl gegen „höherrangige elementare Rechtsprinzipien“ verstoße, hieß es in der Begründung. Durch die „restriktive Paßund Ausreisepraxis und das rücksichtslose Grenzregime“ habe die DDR in „grober und unerträglicher Weise“ allgemein anerkannte und von jedem Staat zu respektierende Menschenrechte auf Leben und Freizügigkeit mißachtet. Das im Grundgesetz fixierte Rückwirkungsverbot stehe einer Bestrafung ebenfalls nicht entgegen, konstatierten die Bundesrichter. Denn dieses Verbot schütze eine „menschenrechtwidrige Auslegung und Anwendung geschriebenen Rechts“ nicht. Die Angeklagten könnten sich auch nicht darauf berufen, auf Befehl gehandelt zu haben. Un-

ter den gegebenen Umständen habe es für sie „offensichtlich“ sein müssen, daß die Tötung von Flüchtlingen an der Berliner Mauer eine „gesetzwidrige Tat“ sei.

Mit diesem Grundsatzurteil wird die Auffassung des Gerichts im ersten Grenzerprozeß in vollem Umfang geteilt, in dem ein ehemaliger Soldat zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Die Verteidigung von Erich Honecker werde nun „schwieriger“, sagte dessen Verteidiger Ziegler im Anschluß an die Urteilsverkündung. Das juristische Regelwerk der DDR werde für nichtig erklärt, wodurch es einfacher sei, Honecker für alles verantwortlich zu machen.

Im zweiten Grenzerprozeß, dessen Revision gestern vor dem Bundesgerichtshof verhandelt wurde, waren die ehemaligen Grenzsoldaten Udo

W. und Uwe H. wegen der tödlichen Schüsse auf den unbewaffneten Flüchtling Michael Schmidt am 25. Dezember 1984 angeklagt. Udo W., zum Zeitpunkt der Tat 20 Jahre alt, war wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten verurteilt worden, Uwe H. mit der gleichen Begründung zu 21 Monaten Gefängnis. Die Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht meinte damals, daß die Angeklagten gegen das DDR-Grenzgesetz verstoßen hatten. Das Gesetz habe keine Ermächtigung zum Töten gegeben, sondern festgeschrieben, das Leben von Flüchtlingen nach Möglichkeit zu schonen. Die Soldaten hätten aber mit Dauerfeuer geschossen, damit „in vorauseilendem Gehorsam“ gehandelt und so das Risiko erhöht, den Flüchtling zu töten.

(Kommentar Seite 2)

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal