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  • Mit einem Trick will Bonn den randvollen Topf der Rentenversicherung anzapfen

Die Kleinen werden vors Loch geschoben

  • HANNELORE HUBNER
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Wörtchen „solide“ und „solidarisch“ kommen beide aus dem Lateinischen und haben im heutigen Sprachgebrauch ähnliche Wertigkeiten: fest und gediegen; eng verbunden und füreinander einstehend. Es erübrigt sich also im allgemeinen, daran zu erinnern, daß ein Solidarpakt wenn er denn den Namen verdienen soll - solide zu sein hat. Das setzt zweifellos auch voraus, daß die Partner eines solchen Paktes tatsächlich füreinander einstehen wollen. Von beidem ist in den jüngsten Diskussionen um das Zustandekommen einer solchen Zweckgemeinschaft wenig zu spüren. Ja, es ist noch nicht einmal geklärt, wer denn nun eigentlich für wen mit welchen Leistungen einstehen soll.

Betrachtet man die Forderungen, die dennoch bereits erhoben werden, gewinnt man den Eindruck, daß es gar nicht um die Begründung einer neuen Solidargemeinschaft geht, sondern darum, die Konditionen der zum Teil seit über hundert Jahren bestehenden

neu zu bestimmen. Dagegen wäre ja zunächst einmal nichts einzuwenden, wenn es denn darum ginge, ihre Fehlentwicklungen zu korrigieren. So ist beispielsweise nicht zu begreifen, warum sich Gutverdienende aus der Solidargemeinschaft verabschieden und die Ärmeren in ihrer Solidarität allein lassen dürfen. Wenn es aber nur darum geht, im Namen einer imaginären Partnerschaft, die bestehende Solidargemeinschaft zur Kasse zu bitten, ist das nicht nur unsolide, sondern schlicht Etikettenschwindel. Man kann es auch Betrug nennen.

Ein solcher wird offenbar von den Regierenden in Bonn vorbereitet - und zwar an den Mitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Kassen der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg leiden bekanntlich an Schwindsucht. Damit die Krankheit nicht zur Agonie auf dem zweiten Arbeitsmarkt führt, müssen verständlicherweise die Finanzlücken ausgeglichen werden. Zwar hat die Bundesregierung den Nürnbergern gegenüber

eine Defizit-Deckungspflicht, aber der will sie entgehen, indem sie den Topf der Rentenversicherung anzapft. Der ist nicht zuletzt dank der Wende-Konjunktur prall gefüllt - mit Rücklagen in Höhe von 50 Milliarden Mark.

Hineinlangen darf auch die Bundesregierung nicht so ohne weiteres, sie muß sich schon etwas einfallen lassen. Der Trick ist ebenso einfach wie durchsichtig - sie senkt die Beiträge der Rentenversicherung und erhöht die der Arbeitslosenversicherung. Dann kann die Bundesanstalt zwar ihre Finanz-Löcher stopfen, aber die Rentenversicherer müssen ans Eingemachte - und wenn das aufgebraucht ist, die Mitglieder mit höheren Beiträgen zur Kasse bitten. Und zwar über die 18,5 Prozent hinaus, die ohnehin für 1994 geplant sind.

Was im Klartext heißt, der kleine Beitragszahler der Rentenversicherung soll mit Milliardensummen für einen Schaden aufkommen, den die Bundesregierung mit ihrer verfehlten Wirtschafts-, Struk-

tur- und Finanzpolitik verursacht hat. Ihre Beamten und alle Höherverdienenden läßt sie ebenso außen vor wie all jene, die an der Vereinigung Milliarden verdient haben, noch an ihr verdienen und zudem mit Steuergeldern subventioniert werden.

Das ist nur ein Teil dessen, was diese Bundesregierung unter einem sogenannten Sozialpakt zu verstehen scheint: Lohnverzicht und Lohnabbau, Einfrieren von Bafög und Sozialhilfe, Kürzungen bei Arbeitslosengeld und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen signalisieren die Verabschiedung vom einst als historisch charakterisierten SozialstaaU prinzip. Die Realisierung der Waigelschen Sparpläne bedeutet nichts weniger, so die PDS in einer Erklärung, „als die Zerstörung des letzten Restes von Solidarität in der Sozialordnung der Bundesrepublik.“ Ein Solidarpakt ist tatsächlich nötig, wie sie zurecht sagt - „gegen Sozialabbau und gegen eine Politik, die die Ängste der Menschen schürt und für eigene Interessen mißbraucht.“

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